taz.de -- Kommentar Terror in London: Das Internet ist schuld

Theresa May fordert, dass Google & Co. extremistisches Gedankengut im Netz löschen. Dabei geht es nicht um Sicherheit, sondern um Wählerstimmen.
Bild: Mays Glaubwürdigkeit hat in den vergangenen Monaten stark gelitten

Das Internet trage eine Mitschuld an den Terroranschlägen, [1][findet Theresa May]. Deshalb will die britische Premierministerin Unternehmen wie Google dazu zwingen, die Webseiten von extremistischem Gedankengut zu säubern. Man sei dem Extremismus mit viel zu viel Toleranz begegnet, meint sie: Das Maß sei voll.

War es das nicht schon 2001 nach den Anschlägen in New York oder spätestens nach den Attentaten in Paris, Brüssel oder Manchester? Was May will, ist eine Überwachung der Köpfe. Sie will nicht nur gegen terroristische Taten vorgehen, sondern auch gegen extremistische Gedanken, selbst wenn sie gewaltfrei sind. Der Guardian warnt zu Recht davor, dass solche Gesetze auch gegen Tierschützer, Umweltaktivisten oder Gegner des Waffenhandels angewendet werden könnten, falls sie sich im Internet zu weit aus dem Fenster lehnen.

May tendierte schon als Innenministerin in diese Richtung. Sie stellte eine schwarze Liste von Individuen und Organisationen auf, die zwar nicht als gewaltbereit, aber extremistisch eingestuft wurden, und verhängte ein Kontaktverbot für Regierungsbeamte und Behörden. Das Spiel sei aus für diejenigen, die britische Werte ablehnten, sagte sie 2015. Und was sind britische Werte? Gehört die Fuchsjagd dazu, die May wieder erlauben will, sollte sie die Wahlen am Donnerstag gewinnen? Gelten Jagdgegner dann auch als Extremisten und Jagdsaboteure als Terroristen?

Mays Reaktion auf den neuerlichen Anschlag ist vom Wahlkampf geleitet. Normalerweise profitiert eine Regierungspartei von einem Attentat kurz vor den Wahlen, weil die Wähler verunsichert sind und vor dem Ungewissen zurückschrecken. Das ist diesmal nicht der Fall. Mays Glaubwürdigkeit hat in den vergangenen Monaten stark gelitten, nicht zuletzt deshalb, weil sie das Budget der Polizei um 18 Prozent gekürzt hat, als sie Innenministerin war. Die Folge ist, dass nun schwer bewaffnete Soldaten in britischen Städten eingesetzt werden.

Und die Tory-Politik, die Menschen trotz Job in die Armut treibt und das Bildungs- und Gesundheitswesen in die Krise stürzt, wird von den Wählern bestraft, wie Umfragen belegen: Der Vorsprung vor Labour ist auf fünf Prozent geschrumpft. Daran ändern die Anschläge und Mays schrille Rhetorik bisher nichts.

Es ist beruhigend, dass die große Mehrheit der Bevölkerung besonnen auf die Attentate reagiert. Das werden May und vor allem die Rechtspopulisten der United Kingdom Independence Party (Ukip) am Donnerstag zu spüren bekommen.

5 Jun 2017

LINKS

[1] /Terroranschlaege-in-Grossbritannien/!5417672

AUTOREN

Ralf Sotscheck

TAGS

Schwerpunkt Islamistischer Terror
Theresa May
Google
Wahlkampf
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Großbritannien
Schwerpunkt Islamistischer Terror
London
Großbritannien
Großbritannien
London

ARTIKEL ZUM THEMA

Kommentar May und Menschenrechte: Macron macht’s genauso

Theresa May will Menschenrechte zugunsten des Antiterrorkampfes suspendieren. Die Reaktion mancher Linksliberaler ist nicht konsistent.

Ermittlungen der Londoner Polizei: Identität von zwei Tätern veröffentlicht

Nach dem Anschlag von London wurden zwölf Verdächtige wieder auf freien Fuß gesetzt. Oppositionsführer Corbyn macht Druck auf Premier May.

Nach dem Anschlag in Großbritannien: London gedenkt, Polizei ermittelt

Während die Londoner nach dem Anschlag enger zusammenrücken, gibt die Polizei erste Informationen zu den drei Tätern bekannt.

Anschlag in Großbritannien: Festnahmen und Razzien in London

Nach dem Terrorangriff mit insgesamt zehn Toten hat die Polizei weitere Personen festgenommen. Antiterrorermittler durchsuchten Häuser.

Terroranschläge in Großbritannien: Theresa May will durchgreifen

„Genug ist genug!“, sagt die britische Premierministerin in Reaktion auf den neuen Anschlag in London: „Die Dinge müssen sich ändern.“

Anschlag von London: Was wir wissen – und was nicht

Sieben Menschen wurden von den Angreifern getötet. Die Polizei erschoss drei mutmaßliche Terroristen. Der IS erklärte sich verantwortlich für den Anschlag.

Nach dem Anschlag von London: Angriffe erschüttern Großbritannien

Am Donnerstag wird ein neues Unterhaus gewählt. Eine Verschiebung des Termins wegen der Anschläge lehnt Londons Bürgermeister ab.