taz.de -- Kritiker über Autobahn-Gesellschaft: „Ganz offen durch die Vordertür“

Auch nach den von der SPD durchgesetzten Änderungen sieht Carl Waßmuth die geplante Infrastrukturgesellschaft als große Gefahr. Denn „die Privatisierung droht weiter“.
Bild: Die SPD meint, die von den Privatisierungsgegnern am 15. Mai vor dem Bundestag vertretene Forderung sei nun erfüllt. Die sehen das anders

taz: Herr Waßmuth, die SPD sagt, es sei ihr gelungen, jegliche Form der Autobahn-Privatisierung zu [1][verhindern]. Da müssten Sie sich doch freuen.

Carl Waßmuth: Wenn es stimmen würde, wäre es toll. Aber leider ist das Gegenteil wahr. Die SPD behauptet, sie habe alle Hintertüren geschlossen – aber die Privatisierung kommt ganz offen durch die Vordertür.

Wie das?

Die Zuständigkeit für die Autobahnen wird an eine Gesellschaft privaten Rechts übertragen. Das ist eine formelle Privatisierung.

Aber die Gesellschaft und alle Töchter bleiben zu 100 Prozent in staatlicher Hand.

Das ist nicht entscheidend. Sie können trotzdem Teile des Straßennetzes privatisieren, nämlich über öffentlich-private Partnerschaften, sogenannte ÖPPs, bei denen Privatunternehmen den Straßenbau finanzieren und organisieren und dafür über Jahrzehnte eine garantierte Rendite aus Maut oder Steuern erhalten.

Solche ÖPP-Projekte gibt es doch auch heute schon.

Das stimmt. Aber durch die neue Konstruktion werden sie erst so richtig von der Kette gelassen. Wegen angeblicher Geschäftsgeheimnisse kann die Gesellschaft jede Transparenz verhindern. Der Bundestag muss künftig nicht mehr zustimmen, sondern kann nur von außen versuchen, Einfluss zu nehmen. Auch die Kontrolle durch den Bundesrechnungshof wird erheblich erschwert.

Wirklich? Der Bundesrechnunghof, der die ersten Entwürfe scharf kritisiert hat, ist mit dem neuen Vorschlag zufrieden.

Ich habe auch gesehen, dass sie sich so äußern. Verstehen kann ich das nicht. Wichtige Forderungen des Rechnungshofs, etwa ÖPPs auf 10 Jahre Laufzeit oder 500 Millionen Volumen zu beschränken, wurden ignoriert. Beschlossen wurde lediglich eine 100-Kilometer-Begrenzung. Und die ist ein schlechter Witz, denn alle bisherigen Autobahn-ÖPP-Strecken sind kürzer.

Immerhin haben die Kritiker auch erreicht, dass es künftig ÖPP nur auf Einzelstrecken geben soll. Große Netze werden im Grundgesetz verboten.

Das ist ein Ablenkungsmanöver. Solche Netz-ÖPPs gibt es bisher nirgends. Es wird also etwas ausgeschlossen, was gar kein Problem ist, damit die normalen ÖPPs plötzlich klein und harmlos wirken. Dabei sind die das eigentliche Problem für den Steuerzahler – und das eigentliche Ziel der privaten Investoren.

Die Gewerkschaft Verdi, die bisher mit Ihnen zusammen gegen die Infrastrukturgesellschaft gekämpft hat, scheint mit dem Kompromiss [2][leben zu können].

Verdi ist weiterhin Mitglied in unserem [3][Bündnis]. Für die Gewerkschaften ging es neben der Privatisierungsgefahr auch um die Rechte der Beschäftigten. Da haben sie offenbar einiges erreicht. Aber das Hauptproblem, die Privatisierung droht weiter – das sieht auch Verdi so. Wenn die SPD diese wirklich verhindern will, muss sie am Donnerstag im Bundestag gegen das Gesetz stimmen.

31 May 2017

LINKS

[1] http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/grundgesetz-aenderung-verhindert-privatisierung-autobahnen
[2] https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++290bfbba-3bb4-1
[3] http://www.keine-autobahnprivatisierung.de/

AUTOREN

Malte Kreutzfeldt

TAGS

Autobahn
Privatisierung
ÖPP
Rechnungshof
Autobahn
Alexander Dobrindt
Autobahn
Autobahn
Autobahn
Autobahn
Pkw-Maut
Autobahn
Privatisierung
Verkehr

ARTIKEL ZUM THEMA

Geldverschwendung bei Bundesbehörden: Millionen für den Rentenausweis

Der Rechnungshof kritisiert Geldverschwendung bei Bundesbehörden. Auf seiner Liste: Rentenausweise, Gratis-Zigaretten und eine Autobahn.

Kommentar Autobahnprivatisierung: Unten mit den ÖPP

Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) funktionieren nicht, sie richten Schaden an. Politik und Wirtschaft müssen klarer getrennt sein.

Öffentlich-private Partnerschaften: Privatautobahn vor der Pleite

Betreiber eines privat finanzierten Teilstücks der A1 haben Finanzprobleme und wollen mehr Geld vom Bund. ÖPP-Kritiker sehen sich bestätigt.

Privatisierung der Autobahn: Heute dagegen, morgen dafür

Im Bundestag warnen die Grünen vor der privaten Infrastrukturgesellschaft. Im Bundesrat stimmen sie aber dafür. Die Linke legt sich noch nicht fest.

Einigung über Infrastrukturgesellschaft: Gesetzentwurf mit Macken

Die SPD setzt Privatisierungsbeschränkungen durch und spricht von einem großem Erfolg. Doch das Gesetz bleibt umstritten.

Privatisierung von Autobahnen: Gesetz ausgebremst

Weil sich Union und SPD nicht einigen können, wird die für Freitag geplante Verabschiedung des umstrittenen Autobahn-Gesetzes wohl verschoben.

Streit um Autobahn-Gesellschaft: SPDler gegen jede Privatisierung

Ein neues Gutachten zeigt: Der Beschluss des Koalitionsauschusses löst die Probleme der geplanten Infrastrukturgesellschaft nicht.

Bundesrechnungshof kritisiert Mautpläne: Gutachter fürchten höhere Kosten

Durch die Autobahn-Gesellschaft wird das Fahren teurer: Auf die Maut fällt Mehrwertsteuer an – und künftig wird sie wohl doch nach Strecke berechnet.

Kommentar Autobahnprivatisierung: Jede Menge Schlupflöcher

Angeblich will die SPD keine Straßenprivatisierung. Gibt sie in dieser Sache nun doch nach, wäre das bitter für SteuerzahlerInnen.

Privatisierung von Autobahnen: Eigene Experten widerlegen SPD

Wissenschaftler gehen mit dem Gesetzesentwurf für eine Infrastrukturgesellschaft hart ins Gericht. Dieser biete Schlupflöcher für Privatisierungen.

Gesetz für Infrastruktur-Gesellschaft: DGB warnt vor privaten Straßen

Die Gewerkschaft drängt auf Änderungen am Gesetzentwurf. Sonst drohten teure ÖPP-Projekte und ein Verlust politischer Kontrolle.