taz.de -- Mémorial-de-la-Shoah-Ausstellung in Paris: Der Fall Barbie wurde exportiert

Klaus Barbie war SS-Hauptsturmführer und Folterer in Frankreich. Mit 150 Stunden Film ist der Prozess gegen ihn gut dokumentiert.
Bild: Klaus Barbie im Februar 1972

Mit dem Erinnern und Vergessen hatten nach 1945 nicht nur Deutsche, sondern auch Franzosen ihre Schwierigkeiten. Während die Résistance im historischen Bewusstsein der meisten Franzosen ihren gebührenden Platz fand, wurde die Kollaboration von Franzosen mit der deutschen Besatzungsmacht ziemlich zügig dem Vergessen überlassen. Das änderte sich erst vor vierzig Jahren mit dem Prozess gegen Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“.

Eine kleine, aber informative Ausstellung im „Mémorial de la Shoah“ in Paris dokumentiert anhand von Originalakten, Vernehmungsprotokollen, Telegrammen, Zeitungsausschnitten, Fotos und Ton- und Filmaufnahmen, wie es zum Prozess kam vor 30 Jahren im Lyoner Justizpalast – am 11. Mai 1987 – und wie dieser ablief.

Die von Dominique Missika kuratierte Ausstellung beginnt mit einem biografischen Überblick. Der 1913 in Godesberg geborene Barbie wurde mit 22 Jahren Mitglied der SS und arbeitete zunächst im Berliner Hauptamt des berüchtigten Sicherheitsdienstes (SD). Er stieg im SD schnell zum Hilfsreferenten in Düsseldorf und Dortmund auf. Nach Kriegsbeginn wurde er in den besetzten Niederlanden eingesetzt und war an der Verfolgung und Folterung von Freimaurern beteiligt.

Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich wurde er Leiter der Abteilung IV. der Gestapo beim Kommandanten des SD in Lyon im Rang eines Obersturmführers (Leutnant). Im Lyoner Hotel „Terminus“ richtete er die Folterzentrale des SD ein, in der Mitglieder der Résistance, aber auch jede Art von Verdächtigen mit brutalen Mitteln verhört, geprügelt und gefoltert wurden. Viele Verdächtigte und Denunzierte überlebten die Tortur nicht und verschwanden spurlos. Noch im November 1944 wurde Barbie zum SS-Hauptsturmführer (Hauptmann) befördert.

Hauptteil der Ausstellung dokumentiert Prozess in Lyon

Bei Kriegsende tauchte Barbie in Deutschland unter und wurde in Frankreich 1947, 1952 und 1954 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Der amerikanische Armeegeheimdienst CIC sorgte dafür, dass Barbie nicht an Frankreich ausgeliefert wurde, sondern unter dem falschen Namen Klaus Altmann nach Bolivien auswandern konnte. Dort lebte er unbehelligt als Geschäftsmann und erwarb die bolivianische Staatsangehörigkeit. Der Diktator Hugo Banzer Suárez engagierte ihn als Berater und machte ihn zum Oberstleutnant. 1966 gewann ihn der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) unter dem Decknamen Adler als Informanten und Gewährsmann für den Verkauf von überflüssigem Material der Bundeswehr in Südamerika.

Im zweiten Teil der Ausstellung wird die Jagd auf Barbie dargestellt, die das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld auf eigene Faust begann, nachdem die Staatsanwaltschaft München im Juni 1971 die Einstellung eines gegen Barbie gerichteten Verfahrens verfügt hatte.

Zu sehen sind in der Ausstellung unter anderem Fotos von der Protestaktion von Beate Klarsfeld in La Paz. Zusammen mit der Überlebenden Ita-Rosa Halaunbrenner setzte sich Klarsfeld auf eine Parkbank mit einem Plakat, das Klaus Altmann alias Barbie als „Schlächter von Lyon“ bezeichnet. Eine Auslieferung Barbies an Deutschland, der 1983 wegen eines Steuerdelikts verhaftet worden war, verhinderte jedoch die Regierung Helmut Kohls, der im Zuge seiner „geistig-moralischen Wende“ eine erneute Debatte über deutsche Kriegsverbrecher nicht aufkommen lassen wollte. Mit Hilfe bolivianischer Behörden entführte der französische Geheimdienst Barbie Anfang 1983 nach Guyana. Von dort wurde er am 4. Februar 1983 an Frankreich ausgeliefert.

Im Hauptteil der Ausstellung wird der Prozess in Lyon dokumentiert. Neben Fotos des Raumes, in dem der Prozess stattfand, sind auch Originaldokumente ausgestellt – so einige Seiten aus den Vernehmungsprotokollen, die Anklageschrift sowie Filmausschnitte vom Prozessverlauf. Die Arbeit der französischen Ermittlungsbehörden erstreckte sich zwar über vier Jahre hin bis zur Prozesseröffnung, aber längst nicht alle historischen Aspekte der Besatzungszeit wurden in die Akten aufgenommen.

Am 4. Juli 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt

Die Ermittler wie später die den Prozess führenden Richter und Staatsanwälte wollten Barbie für die begangenen Verbrechen exemplarisch bestrafen, aber jede Anklage gegen französische Kollaborateure vermeiden. So sollten zum Beispiel die Umstände, die zur Verhaftung, Folterung und Ermordung des Résistance-Helden Jean Moulin führten, explizit aus dem Prozess herausgehalten werden.

Prozessgegenstand waren deshalb allein die von Barbies Dienststelle in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht organisierten Deportationen von insgesamt 842 jüdischen Männern, Frauen und Kindern in deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager. In einer Vitrine ist das Telegramm zu sehen, mit dem Barbie der vorgesetzten Behörde in Paris die Verhaftung und Deportation von 43 jüdischen Kindern aus einem Heim in Izieu mitteilt. Zu zwei weiteren Deportationen werden Akten und Fotos gezeigt. Von den Vernehmungsprotokollen und Beweisakten, die zusammen 23.000 Seiten umfassen, sind einige Aktenbände ausgestellt sowie Fotos des riesigen Dossiers.

Der Prozessverlauf selbst ist gut dokumentiert, denn der Justizminister Robert Badinter, dessen Vater von den Nazis ermordet wurde, ermöglichte durch eine Sonderreglung, dass der Prozess mit vier Kameras unter professioneller Regie aufgezeichnet wurde. Die über 150 Stunden Film sind in der Ausstellung zu sehen.

Am 4. Juli 1987 wurde Barbie vom Geschworenengericht in Lyon quasi als Einzeltäter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt, in der er 1991 an Krebs verstarb.

„Kein Musterbeispiel justizieller Wahrheitsfindung“

Freilich konnte das strikte Prozessprogramm des vorsitzenden Richters André Cerdini nicht verhindern, dass in der Öffentlichkeit und in der Geschichtswissenschaft eine intensive Debatte über die Bedeutung französischer Kollaborateure während der Besatzungszeit einsetzte. Den Prozess in Lyon beobachteten zeitweise 800 Medienleute. Die Tageszeitung Le Monde brachte bis zum Prozessende am 4. Juli 1987 täglich eine Seite mit Berichten, Interviews und Kommentaren zum Prozess.

Für die deutschen Medien akkreditierte die taz den Journalisten Lothar Baier (1942–2004). Er war der einzige deutsche Journalist, der den Prozess vom ersten bis zum letzten Tag verfolgte, und die grüne Abgeordnete Antje Vollmer war die einzige deutsche Politikerin, die den Prozess besuchte. Der Fall Barbie wurde exportiert und erfolgreich als französischer Fall etikettiert.

Der Prozess leitete in Frankreich trotzdem eine Auseinandersetzung über die französische Mitverantwortung an den Naziverbrechen ein, selbst wenn man einräumen muss, dass er „kein Musterbeispiel justizieller Wahrheitsfindung gewesen ist, weil man im Interesse der pädagogischen Selbstdarstellung Frankreichs sehr viel Störendes unter den Teppich kehrte“ (Lothar Baier).

8 May 2017

AUTOREN

Rudolf Walther

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