taz.de -- Neurechter Denker Karlheinz Weißmann: Der Oberintellektuelle

Karlheinz Weißmann ist der Ideengeber der Jungen Freiheit, des Zentralorgans der Neuen Rechten. In Northeim ist er Geschichtslehrer.
Bild: Mag keine Fotos: Karlheinz Weißmann

Hamburg taz | Der vielleicht einflussreichste Publizist der Neuen Rechten hat gute Möglichkeiten, Nachwuchs zu rekrutieren: Karlheinz Weißmann, 58, unterrichtet am Gymnasium Corvinianum in Northeim Geschichte und Religion. Gut vorbereitet sei sein Unterricht, klar strukturiert seine Ausführungen, sagt ein ehemaliger Kollege, der namentlich nicht genannt werden will.

Weißmanns pädagogischer Ethos zeigt sich auch in den Titeln seiner neusten Bücher, die in der Edition der ihm nahe stehenden Wochenzeitung Junge Freiheit erschienen sind: Sie heißen „Deutsche Geschichte für junge Leser“ und „Martin Luther für junge Leser“. Die Worte äußerst abgewogen, die Sätze genau überlegt argumentiert Weißmann dort gegen das, was er „Liberalismus“ nennt.

Die Junge Freiheit warb auch breit für Weißmanns Buch „Rubikon – Deutschland vor der Entscheidung“, das vor einem Jahr erschien. 49 v. Chr. überschritten Caesars Truppen den damaligen Grenzfluss Rubikon in Richtung Rom – es war eine Kriegserklärung an den Römischen Senat, von da an gab es für Caesar kein Zurück mehr. Eine solche bewusste Entscheidung mahnt Weißmann auch bei der „unkontrollierten Massenzuwanderung“ an, nicht ohne das „Versagen der politischen Klasse“ anzuprangern.

In bester Kenntnis der von ihm mit verbreiteten Positionen der Konservativen Revolution der 1920er-Jahre beklagt er: „Dekadenz ist unser zentrales Problem. (…) Natürlich gibt es objektive Gründe für den Verfall von Eliten, Staaten, Kulturen, aber entscheidend ist doch die Aufgabe (…) des Willens zur Selbstbehauptung. Man lässt sich gehen, zuckt die Achseln, ‚kann sowieso nichts machen‘“.

Das „liberale Syndrom“ beziehungsweise der „Liberalismus“ seien verheerend, da sie „keine Gemeinschaft, keine Identität, keine Bindung jenseits der Ratio und keinen unaufhebbaren Antagonismus“ anerkennen würden. Dieses antiliberale Klagelied gegen Demokratie, Emanzipation und Individualismus hatte in den 1920er-Jahren schon der konservative Revolutionär Arthur Moeller van den Bruck angestimmt: „An Liberalismus gehen die Völker zu Grunde.“ Das Buch von Weißmann, wirbt die Junge Freiheit, sei allen jenen gewidmet, „die daran festhalten, dass Deutschland gerettet werden soll“.

Der große Applaus der Wochenzeitung für Weißmann beruht auf einer langen Geschichte der Wertschätzung. Seit 1988 schreibt der Historiker für die Junge Freiheit, in der er seit 2010 eine Kolumne mit dem Titel „Gegenaufklärung“ veröffentlicht.

Schon im Januar 1988 wies er im inzwischen eingestellten Magazin Criticón der damals gerade erschienenen Jungen Freiheit ihre Aufgabe zu: „In einer pluralistischen Gesellschaft definiert sich der Einfluss nicht alleine (…) durch ihren sichtbaren Anteil an der politischen Macht. Worauf es ankommt, das ist zunächst die Besetzung von Feldern im vorpolitischen Raum.“ Die Linke verfüge über ein „Kapillarsystem (…) um Informationen und Lebensgefühl“ durchsickern zu lassen, deswegen sei „das Erscheinen“ der Jungen Freiheit „besonders erfreulich“.

Weißmann und der Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein, kommen beide aus der völkisch-nationalistischen Deutschen Gildenschaft (DG). Aus der Studentenverbindung kommt auch Götz Kubitschek. 2000 gründet Weißmann und Kubitschek das Institut für Staatspolitik (IfS), um Anhänger intellektuell für den Kampf um eine kulturelle Hegemonie zu munitionieren. Vierzehn Jahre später kommt es zum offiziellen Bruch zwischen den beiden.

Bis dahin war Weißmann, der in seinen Kreisen als „klügster Kopf der deutschen Konservativen“ gilt, wissenschaftlicher Leiter des IfS, prägte die Sommer- und Winterakademien und beeinflusst die wissenschaftliche Schriftenreihe. Über Kubitscheks Verlag Antaios können Weißmanns Basistexte zur Konservativen Revolution bezogen werden.

In „Rubikon“ klingt der politische Dissens an, wenn Weißmann vor einer „Revolutionssüchtigkeit“ warnt und Kubitschek bei sezession.net kontert: „Wenn alle zuwarten – wer bereitet dann den Baumeistern das Feld? Wo stünden die Demonstrationsbündnisse, Bürgerbewegungen und Parteiflügel heute vielleicht bereits, wenn die Abwartenden nicht abgewartet hätten?“

Nach der Trennung sagte Weißmann in der Jungen Freiheit, Kubitschek sei „eigentlich kein politischer Kopf“. Da „verwechselt jemand Literatur mit Staatslehre und Ästhetik mit Politik. Was selbstverständlich fatale Konsequenzen nach sich zieht, wenn der betreffende trotzdem Politikberatung treibt“.

Ihn stört, dass Kubitschek den Thüringischen AfD-Landtagsfraktionsvorsitzenden Björn Höcke und dessen Umfeld trotz dessen weit rechter Positionen protegiert. Auch mit Blick auf die von diesen Spektrum losgelösten AfD-Skandale erklärt er in der Jungen Freiheit: „Quertreiber vom Hof jagen, Reihen schließen, Mund halten, Rücken zum Mist, Front zum Gegner. Sonst war’s das wirklich.“ Und was Kubitschek weiter verstimmen dürfte: Weißmann plant eine neue Zeitschrift – für die „konservative Intelligenz“.

Am Gymnasium ist Schulleiter Christoph Dönges zurückhaltend: Seit über 20 Jahre unterrichte Weißmann ohne Auffälligkeiten. Die stellvertretende Pressesprecherin des Kultusministerium, Tanja Meister, sagt, dass es mit der Lehrkraft in der Vergangenheit „mehrere klärende Gespräche“ gegeben habe, in denen „deutlich kommuniziert“ worden sei, „dass diesbezügliche Grenzüberschreitungen in der Schule nicht geduldet würden“. Schulleitung, aber auch Schülern und Eltern seien aufmerksam.

Weißmanns ehemaliger Kollege hat im Kollegium und beim Direktor keine erhöhte Sensibilität bemerkt. Weißmanns Aktivitäten würden als „privat“ weggewischt.

Unter den Schülern habe Weißmann allerdings Anhänger, sie fänden ihn wohl „beeindruckend“.

Mehr zum Thema „Identitäre Bewegung“ finden Sie in Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen in der gedruckten Ausgabe der taz am Wochenende oder am [1][eKiosk].

21 Apr 2017

LINKS

[1] /!p4350/

AUTOREN

Andreas Speit

TAGS

Schwerpunkt Rassismus
Identitäre Bewegung
Völkisch
Neue Rechte
Abendland
Rechtsextremismus
Götz Kubitschek
Identitäre Bewegung
Götz Kubitschek
Identitäre Bewegung
Anti-AfD-Proteste
Right Trash
Identitäre Bewegung
Identitäre Bewegung

ARTIKEL ZUM THEMA

Neue Rechte stellt Magazin vor: Wie einst in Rom

Die Neue Rechte hat ein neues Magazin: „Cato“. Die Macher treten damit in Konkurrenz zu „Sezession“, einem anderen rechten Magazin.

„Finis Germania“ von Jury ausgewählt: Ressentiment auf Platz 9

„Finis Germania“ hat es in die Top 10 des „Sachbuch des Monats“ geschafft. Es ist Zeit, über die Entgrenzung nach rechts im Feuilleton zu reden.

Militante Segler: Extrem hart steuerbord

Die rechte Bewegung der Identitären versucht in Bremen Fuß zu fassen und für Aktionen gegen Lebensretter im Mittelmeer zu werben

Starautor unter Nazis: Nette Leute trifft er überall

Mitten im neurechten Netzwerk um Götz Kubitschek: In Schnellroda nahm der US-Dramatiker Tuvia Tenenbom an einem Frühschoppen teil.

Aktivistin über akzeptierten Rassismus: „Schwieriger als gegen Stiefelnazis“

Sandra Peters vom „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ spricht über die Schwierigkeiten, gegen die Neue Rechte zu mobilisieren.

AfD-Parteitag in Köln: Polizei schützt, Petry für „Realpolitik“

Die AfD trifft sich in Köln. Proteste laufen schon seit sieben Uhr morgens, die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor dem Maritim-Hotel. Drinnen wirbt Petry für Realpolitik.

Kolumne Right Trash: Ein elitärer Klan

Interne Materialien bestätigen Mentalität, Finanzwege und Strukturaufbau: Die Identitären sind eine autoritär-hierachische Gruppe.

Aktionen der „Identitären Bewegung“: Der Verfassungsschutz warnt

Der Verfassungsschutz rechnet mit Aktionen der „Identitären“ gegen Muslime in Deutschland. Die Rechtsextremen seien gut vernetzt und radikalisiert.

Symbole von Jungfaschisten: Neue rechte Posterboys

Die Identitären setzen sich vom Muff der alten Rechten ab. Sie bedienen sich neuer Symbole – sowohl historischer als auch popkultureller.