taz.de -- Bürgerrechtler über Polizeikongress: „Aufrüstung als Selbstzweck“
Vorhersagesoftware ist der „heiße Scheiß“: In Berlin treffen sich Minister, Polizisten und Sicherheitsfirmen. Matthias Monroy kritisiert die Veranstaltung.
taz: Herr Monroy, am Dienstag und Mittwoch tagt in Berlin der 20. Europäische Polizeikongress. Sie kritisieren das Treffen, an dem Innenminister Thomas de Maizière, Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und Frontex-Direktor Fabrice Leggeri teilnehmen. Warum?
Matthias Monroy: Der sogenannte Kongress ist vor allem eine Messe, auf der Sicherheitsfirmen als Sponsoren auftreten und sich, je nach finanziellem Aufwand, die Teilnahme an Workshops erkaufen können. Wer genug Geld ausgibt, darf sich auch auf einem Podium mit Polizeibeamten oder Ministern zur Weltlage äußern.
Hier kommen alle zusammen: Vertreter der Polizei, die über ihre schlechte Ausstattung jammern und ständig einen Mehrbedarf anmelden, Entscheider aus der Politik, die genau das ermöglichen können, und die Scharfmacher aus der Industrie, die ihre Produkte anpreisen, als ginge ohne sie die Welt unter. Im Mittelpunkt stehen die neuesten Produkte für die innere Sicherheit.
Müssen Polizei und Politik nicht auf Gefahren reagieren können?
Hier geht es aber um Aufrüstung als Selbstzweck. Nie wird die Frage gestellt, ob sich nicht einige der 300 Anti-Terror-Maßnahmen in der Europäischen Union seit den Anschlägen vom 11. September 2001 als unbrauchbar erwiesen haben. Gibt es vielleicht schon genügend Datenbanken – und könnte da wieder abgerüstet werden? Greift die Videoüberwachung zu stark in den Datenschutz ein? Haben sich Taser wirklich bewährt? Diese Fragen werden nicht gestellt, um eine kritische Reflexion geht es nicht.
Das Thema heißt diesmal „Europa grenzenlos? Freiheit, Mobilität, Sicherheit“.
Die Verkaufsmesse will Trendsetter sein, dafür werden schon immer alle Themen zusammengepackt. Große Geschäfte winken etwa mit afrikanischen Ländern, die nun die [1][Identifikation mittels Fingerabdrücken in Ausweisdokumenten einführen]. Das hat den Hintergrund, dass die EU-Mitgliedstaaten gern dorthin abschieben würden, die Behörden aber keine Papiere ausstellen können, wenn die Person nicht zweifelsfrei identifizierbar ist. Relativ neu ist der Bereich Smart Policing.
Worum geht es da?
Digitale Spuren sollen mithilfe neuer Technik intelligent und bequem für die Ermittlungen genutzt werden. Im Vordergrund steht der Umgang mit Daten. Von ihnen hat die Polizei bereits genügend. Wichtig wird nun, sie mithilfe von Technologien möglichst gut zu nutzen und zusammenzuführen. Das ist zwar rechtlich nicht unbedingt erlaubt, da gesammelte Daten immer einem bestimmten Zweck dienen müssen, aber die Entwicklung geht dahin – für ein immer besseres Profiling.
Wie schlägt sich der Bereich auf dem Kongress nieder?
Zuletzt wurde die Richtlinie für die Speicherung der Fluggastdaten beschlossen. In einem Workshop werden Vertreter der Lufthansa, IBM und des Innenministeriums gemeinsam beraten, wie man diese einsetzen kann. Beschäftigt wird sich auch mit der Auswertung von Spuren, die wir mit unseren elektronischen Geräten hinterlassen, wenn etwa beschlagnahmte Telefone ausgelesen werden. Es geht aber auch um rechtliche Fragen, etwa ob die Audiodaten, die im Wohnumfeld aufgezeichnet werden, in Ermittlungen genutzt werden dürfen. Klar ist: Je mehr sich die Polizei an technischen Mitteln verschafft, desto mehr werden sie auch eingesetzt.
Welche neuen Techniken kommen sonst auf uns zu?
Derzeit rüsten Bundesländer und Bundespolizei ihre Videoüberwachung auf. Kein Wunder, dass sich unter den Sponsoren zahlreiche Firmen finden, die entweder hochauflösende Kameras oder Auswertesysteme mit Gesichtserkennung verkaufen. Auch die Firma Taser ist regelmäßig präsent – angesichts der Pläne zur [2][Einführung der Elektroschockwaffen in Berlin] und Bremen offensichtlich erfolgreich.
Wie gut kann die Polizei inzwischen in die Zukunft schauen, also vermeintliche Risiken im Vorfeld erkennen?
Der heiße Scheiß sind Technologien zur Prognose von Risiken. Einige Bundesländer haben bereits Vorhersagesoftware für Wohnungseinbrüche beschafft, nun wird überlegt, wie diese auch für andere Zwecke eingesetzt werden könnte. Möglich wäre die Einbindung von Kennzeichenlesegeräten oder auch die Verarbeitung von Personendaten, etwa um eine Prognose zur Rückfälligkeit von Straftätern zu berechnen. Letztes Jahr haben sich die Kriminalämter mit einem Anbieter beraten.
Welche Gefahren ergeben sich daraus?
Eine Software gegen Wohnungseinbrüche oder Fahrzeugdiebstähle wird auch die Vorurteile bei der Polizei verstärken. Denn ein computergestütztes Vorhersagesystem liefert keine Anhaltspunkte, wie denn vermutete „Verbrecher“ aussehen oder zu erkennen wären. Es werden die üblichen Stereotypen bedient, denn kontrolliert werden Menschen mit dunkler Hautfarbe, Kapuzenpullis und offensichtlich unterprivilegierte Personen. Im Übrigen zeigt sich durch die Einführung von Prognosesoftware auch im IT-Bereich der Trend in der Polizeiarbeit, mit immer mehr „Gefahrenabwehr“ das Vorfeld von Straftaten zu erkunden.
21 Feb 2017
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