taz.de -- Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Sie läuft und läuft und läuft

Christine Thürmer hat mehr als 30.000 Kilometer auf Langgstreckenwegen zurück gelegt. Sie ist ein radikaler Outdoor-Junkie mit Managementqualitäten.
Bild: Christine Thürmer auf dem Pacific Crest Trail mit anderen Angefixten

Christine Thürmer ist ein Phänomen. Die 1,85 Meter große, kräftige Frau wurde von einer erfolgreichen Firmensaniererin zur rekordverdächtigen Langstreckenläuferin, die ihre Routen mit Excel-Tabellen plant. Ihr Rucksack ist auf 6 Kilo reduziert, die aufgeschnittene Plastiktüte dient als Regenrock und Zeltunterlage zugleich. Sie übernachtet meistens in ihrem Einwandzelt (1.046 Gramm), in einem Kunstfaserschlafsack (720 Gramm) und auf einer Isomatte (340 Gramm).

So gerüstet, ist sie dreimal von Kanada nach Mexiko gelaufen. Auf den legendären amerikanischen Routen: dem Pacific Crest Trail, dem Continental Divide Trail, dem Appalachian Trail. Danach zweimal quer durch Europa und durch Australien. Ihr Buch „Laufen. Essen. Schlafen.“ ist ein Bestseller. Ihre Lesungen – häufig in Outdoor-läden – sind bestens besucht.

Liest man ihr Buch, erschließt sich einem die Leidenschaft fürs Langstreckenwandern nur sehr bedingt. Es erzählt von den Bedingungen unterwegs, von Logistik, von unspektakulären Begegnungen. Es erzählt kaum etwas über Christine Thürmer „auf der „inneren Suche“, nur wenig von den durchwanderten Regionen. Es ist eine Erzählung ohne Spannungsbogen, die wie ein Wandertag in einsamster Natur vor sich hin plätschert.

Christine Thürmer bezeichnet sich selbst als „Outdoor-Junkie.“ Sie wandert am liebsten allein. Angst scheint ihr fremd. Sie kultiviert einen ehrgeizigen Autismus und die Begrenzung aufs Nötigste. Ihre vollkommene Reduktion beim Essen, Schlafen, Leben ist in Zeiten immer ausgeklügelter Rezepte schon wieder exotisch. Tütensuppe und der schnelle Schokoriegel zwischendurch statt veganer Spitzfindigkeiten. Der Flow, das Suchtpotenzial erschließt sich wahrscheinlich nur dem gleichgesinnten Outdoorfreak. Das das Buch dennoch ein Erfolg ist, liegt an der Radikalität, mit der Christine Thürmer läuft und läuft …

18 Feb 2017

AUTOREN

Edith Kresta

TAGS

Wandern
Sucht
Outdoor
Reiseland Spanien
Freiheit
Blinde Menschen
Wandern

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Aufgeschreckte Couchpotaoes: Nie wieder Barcelona!

Es stimmt: Die Stadt Barcelona phantastisch, sie ist eine Reise wert. Doch der Massentourismus hat sie mittlerweile unausstehlich gemacht.

Nackt-Selfies im Grünen: Frisch und frei, nackt und draußen

Hüllenlos in der Natur und man ist so frei, dies auch gleich für alle ins Netz zu stellen. Auf Instagram boomt der neue Trend.

Reisen mit Behinderung: Sehen mit den Füßen

Bei „Tour de Sens“ begleiten Sehende die Blinden als Mitreisende und müssen weniger bezahlen. Oft werden die Teilnehmer schnell vertraut.

Auf dem Alpe Adria Trail: Die Wandernerds

Neue Wanderwege, neue Kundschaft. Der bärtige, junge Hipster hat das Wandern entdeckt. Kärnten will von diesem Trend profitieren.