taz.de -- Grenze zwischen Mexiko und den USA: Trumps erster Krieg

Bevor der Bau von Trumps Mauer beginnt, machen sich tausende Flüchtlinge auf den Weg in die USA. Sie geraten in eine tödliche Falle.
Bild: Täglich kommen hunderte Migranten an; viele reisen auf den Waggons eines Güterzugs, den sie „die Bestie“ nennen

RAMOS ARIZPE/SALTILLO taz | Heute ist ein schlechter Tag für die Kojoten. Die Menschenschmuggler lehnen sich an ihre Pick-ups und rauchen, als „die Bestie“ vor einer Fabrik in Ramos Arizpe zum Stehen kommt. Auf den Waggons kauern nur ein paar armselige Gestalten.

Vielleicht sind sie schon in Tapachulas an der Grenze zu Guatemala auf den Güterzug aufgestiegen, der Mais oder Maschinen transportieren sollte. Oder ihr Weg führte sie mit dem Bus nach Norden, ehe ihnen das Geld ausging und nichts anderes blieb als der Rücken der Bestie. Sie sehen alle abgerissen aus. Es ist offensichtlich, dass sie kein Geld für den weiteren Transit haben. Die Kojoten drücken ihre Kippen aus und steigen wieder in ihre Autos.

Die Männer sind eine Handvoll von einer halben Million, die jährlich aus Mittelamerika nach Mexiko fliehen. Sie alle wollen es über die Grenze in die USA schaffen. Eine Hoffnung, die mit jedem Tag schwindet. Donald Trump verliert keine Zeit und hat das Dekret zum Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko unterzeichnet. Die Flüchtlinge fürchten, dass die ihre verrinnt.

Offene Gruben im Sand

Dabei sind diejenigen, die Ramos Arizpe erreichen, schon fast gesegnet. Auf dem Weg lauern die Zetas, Mexikos grausamstes Kartell, das Tribut fordert oder tötet. Es warten offene Gruben im Sand der Wüste, Massengräber, in denen die Zetas mittellose Migranten verscharren. 300.000 Entführungen seit 2010, das sagen mexikanische Experten. Es sind nur Schätzungen. Alles ist unberechenbar auf dieser Route.

Nur dass die Bestie Richtung Norden kriecht, ist sicher. Nun will die USA das letzte Stück der Reise mit einem Betonwall versperren. Also gilt es, keine Zeit zu verlieren. Flüchtlinge, die keinen Peso mehr haben, machen sich in Ramos Arizpe zu Fuß auf in die 20 Kilometer entfernte Stadt Saltillo. Dort unterhält die Kirche eine Flüchtlingsunterkunft. Padre Pedro Pantoja atmet auf, als er hört, dass an diesem Tag weniger Flüchtlinge angekommen sind als in den vergangenen Tagen.

Die Betten in seiner „Casa de Migrantes“ sind voll, die Unterkunft muss drei Mahlzeiten bereiten für immer mehr Münder, die hungrig sind. „Alle wollen noch über die Grenze, bevor Trump seine Mauer baut“, sagt er. Dabei endet Flucht oft ohnehin in einer Sackgasse; als Beispiel nennt er den nahen Grenzort Nuevo Laredo. Auf US-Seite flögen Drohnen über der Wüste, auf mexikanischer Seite hätten die Zetas das Sagen. Die ließen niemanden in die Nähe der Grenze, der nicht zahlen könne.

Neue Soldaten für die Kartelle

Wie viel die Zetas für den Transit verlangen? 8.000 Dollar, sagt der Padre, so viel ist nötig, damit die Zetas ihre Kontakte bei den US-Grenzbehörden bestechen können. „Das ist der einzige Weg in die USA.“ Kaum einer, der es hierher geschafft hat, könne das aber bezahlen.

Auf die Frage, wie es in den kommenden Wochen weitergeht, antwortet Padre Pantoja: „Ich trage meine Sorgen zu Gott.“ Dann spricht er von einem Krieg, den der neue US-Präsident Mexiko erklärt habe. Trump wolle zunächst 10.000 kriminelle Mexikaner ausweisen. Neue Soldaten für die Kartelle. Dann will er mit Massendeportationen der Illegalen beginnen. „Wenn er Ernst macht, landen bei uns demnächst Millionen Menschen, die wir nicht versorgen können.“

Der Padre sieht einen Sturm auf sein Land zukommen. Und in dessen Auge stecken die Schwächsten fest, die Flüchtlinge aus Zentralamerika, sagt er.

Der Honduraner Israel Martinéz (Name geändert) erhebt sich vom Mittagstisch, um seine Geschichte zu erzählen. Er will dem Fremden verständlich machen, dass es sich bei den „Migranten“ um Flüchtlinge handelt, die um ihre Rechte betrogen werden. Martinéz, 21 Jahre, erzählt von dem Krieg in Mittelamerika, der allein in Mexiko seit 2006 geschätzte 185.000 Tote gefordert hat. Ungezählte mehr in den südlichen Nachbarländern.

Er sah, wie Flüchtlinge zwischen die Räder fielen

Israel Martinéz stammt aus Colón im Norden von Honduras. Er arbeitet in einem Laden, als sein Handy klingelt. Er hört seine Mutter weinen. „Die Maras haben deinen Bruder erschossen und jetzt wollen sie dich.“ Warum die Maras ihn töten wollen, die Frage habe er sich gar nicht erst gestellt.

Die Banden löschen Familien aus, weil sie etwa in dem Gebiet der einen Mara wohnt, aber der Vater oder die Tochter in dem einer anderen arbeitet. Sie könnten ja Verräter sein. „Ich bin hierher gekommen, um zu überleben.“ Auf dem Weg sah er, wie Flüchtlinge vom Dach eines Waggons zwischen die Räder fielen. Einem sei der Torso entzweigeschnitten worden. Dann kamen die Zetas, um Tribut zu fordern.

Tausende soll die paramilitärische Organisation unter Waffen haben. Ihnen ist es in blutigen Kämpfen gelungen, die Flüchtlingsroute unter ihre Kontrolle zu bringen. Wer nicht zahlt, stirbt.

Für Martinéz gibt es kein Zurück mehr

Es ist nachts, als die Zetas anrücken. Die Bestie hält. Die Kämpfer feuern auf die Dächer des Güterzugs. Flüchtlinge stürzen zu Boden, wo die Soldaten des Kartells mit Messern auf sie einstechen. Martinéz fällt zwischen zwei Waggons und stellt sich tot. Irgendwann ist die Raserei vorbei. Dann setzt sich der Zug wieder in Bewegung.

Das Zugpersonal, glaubt Martinéz, steht auf der Gehaltsliste der Zetas. Er liegt auf den Gleisen, während der Zug über ihn rollt. Erst später merkt er, dass er sich verletzt hat. Kaum ist seine Wunde geheilt, steigt er auf den nächsten Zug. Er weiß, dass es für ihn kein Zurück gibt. Ein Vorwärts gibt es nur, wenn er die Zetas bezahlen kann.

Jetzt, wo Trump mit dem Bau der Mauer beginnen will, muss er sich beeilen. Vielleicht sollte er einfach loslaufen in die Wüste, sagt er. „Es ist besser, hier zu sterben. Dann habe ich wenigstens versucht, einen Ort zu finden, an dem ich leben kann.“

„Nutznießer sind die Kartelle“

Die Bestie rollt auch durch Saltillo. Sie macht Halt am Güterbahnhof in Ramos Arizpe und setzt dann ihre Fahrt fort. Alberto Najjar hört, wie der Güterzug über die Gleise rattert, er sitzt auf der Terrasse eines Lokals in Saltillo. Der Zug und die Stadt haben den Reporter schon lange beschäftigt. Er berichtet für den spanischsprachigen Kanal der BBC über den Menschenhandel. Ein gefährlicher Job. Auf dem Bistrotisch vor ihm liegt vor ihm die Zeitschrift Proceso. Sie titelt mit dem Konterfei von Donald Trump und der Schlagzeile: „Der Krieg, der kommt“.

Najjar stimmt zu: Trumps erster Krieg werde in Mittelamerika geführt. Neben den Deportationen sieht er die ausbleibenden Zahlungen der abgeschobenen Migranten an ihre Familien zu Hause als Gefahr. Trump werde nur eines erreichen: Noch weit mehr Menschen als bisher werden in Richtung USA nach Mexiko flüchten, wo sie dann festsitzen. „Nutznießer der Politik Trumps werden die mexikanischen Kartelle sein, die am Menschenschmuggel verdienen.“

Die Zetas verlagerten sich darauf, mithilfe loyaler Maras die Bevölkerung zur Flucht zu zwingen und daran zu verdienen: „Eigentlich bräuchten wir das UN-Flüchtlingshilfswerk hier. Aber dann müssten die USA zugeben, dass es Flüchtlinge sind, keine Migranten, und dass Krieg herrscht.“

Eine Mutter, die Knochensplitter siebt

Vielleicht endet die Reise auf der Bestie fernab aller Gleise an diesem Ort. Entlang eines ausgetrockneten Kanals außerhalb des Dorfs Patrocinio rund 260 Kilometer von Saltillo entfernt hat die Polizei gelbe Absperrbänder an Büschen befestigt. 43 Abschnitte auf rund 10 Kilometern werden so unterteilt.

Helfer sieben den Sand nach Knochenfragmenten, die in der obersten Erdschicht liegen. Sylvia Elida Ortíz kniet auf dem Boden und gräbt. Die oberste Erdkrume ist vor Trockenheit gerissen. Wenige Zentimeter darunter ist der Sand feucht und fühlt sich seifig an – von menschlichem Fett. „Sie haben die Menschen erst mit Macheten zerhackt. Dann haben sie sie in Fässer gesteckt und Diesel reingeschüttet. Wenn das brennt, wird es so heiß, dass die Knochen nach ein paar Stunden zerplatzen. Dann haben sie das Ganze ausgekippt und mit neuen Leichen weitergemacht“, erklärt die Freiwillige.

Sie schildert sachlich, was vielleicht ihrer eigenen Tochter zugestoßen ist. Sie verschwand zu Beginn des Drogenkriegs. Dreimal in der Woche siebt die Mutter Knochenfragmente und verrät nicht, in welchem Winkel ihrer Seele sie ihren Schmerz versenkt.

„Ganz Mexiko ist ein Massengrab“

Vor ihr breitet sich die Wüste aus, die gespickt ist mit den Überresten von Mexikanern und Zentralamerikanern. 90 Personen seien seit der Entdeckung des Massengrabs im Frühjahr 2015 identifiziert worden. Wie viele Menschen hier ermordet wurden? Sylvia Elida Ortíz zeigt in Richtung Wüste. „Da draußen liegt die Antwort. Wir finden ja immer mehr Abschnitte“, sagt sie. „Außerdem ist ganz Mexiko ein Massengrab.“

Der Blick schweift in die Ferne. Jenseits der staubigen Ebene und der Berge soll also ein Grenzwall entstehen. Manche würden sagen, dass es eine Mauer für den Friedhof Mexiko wird.

1 Feb 2017

AUTOREN

Cedric Rehman

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