taz.de -- Miriam Lauch über Abschiebungen: „Sie fühlten sich wie im Krieg“

Weil die Polizei erstmals Abschiebungen mit Gewalt durchgesetzt hat, sind Osnabrücker Aktivisten verunsichert. Die Blockaden wollen sie aber fortführen
Bild: Die Polizei setzt Abschiebungen durch – in Osnabrück auch mit Gewalt

taz: Frau Lauch, wie ist die Stimmung in der Flüchtlingsunterkunft, nachdem die Polizei gewaltsam eine Abschiebung durchgesetzt hat?

Miriam Lauch: Da herrscht ein großes Ohnmachtsgefühl. Viele haben Angst, denn die Situation war martialisch. Die Polizei rückte mitten in der Nacht an. Ein Bewohner sagte hinterher, er habe sich wie im Krieg gefühlt, und sie würden wie Tiere behandelt.

Und unter den AbschiebungsgegnerInnen?

Auch für uns war diese Eskalation seitens der Polizei ein großer Schock. Einerseits fühlen wir uns ein Stück weit eingeschüchtert. Die Abschiebungen richten sich gegen alles, wofür die sogenannte „Friedensstadt“ steht. Aber innerhalb der Gruppe herrscht eine große Solidarität, und wir wollen weiterhin Abschiebungen verhindern.

Es gibt einerseits Abschiebungen in die Herkunftsländer der Personen, aber auch innerhalb Europas aufgrund des Dublin- III-Abkommens. Sie sind gegen beide Formen der Abschiebung. Was spricht gegen Letztere?

Den Leuten, die etwa nach Italien abgeschoben werden, weil sie da zuerst europäischen Boden betreten haben, droht dort Obdachlosigkeit. Wir wollen, dass die Geflüchteten hier in Deutschland die Möglichkeit bekommen, einen Asylantrag zu stellen.

Was passiert, wenn Sie von einer Abschiebung erfahren?

Es gibt eine Telefonkette, in die man sich eintragen kann. Wenn jemand aus einer Unterkunft Bescheid gibt, dass gerade eine Abschiebung vollzogen wird, versuchen wir, schnellstmöglich viele Menschen anzurufen und zu mobilisieren. Bisher konnten wir dadurch immerhin 37 Abschiebungen verhindern.

Wer gehört zu den aktiven AbschiebungsgegnerInnen?

Das ist ziemlich bunt gemischt. Viele jüngere Leute – Studierende, Azubis, SchülerInnen. Aber auch ältere Menschen, die zur Blockade dann ihre Klapphocker mitbringen. Vor allem sind es aber auch Geflüchtete selber, die solidarisch untereinander sind und sich organisieren.

Kommt von der Kirche auch Unterstützung?

Es gibt Leute, die auch in kirchennahen Gruppen aktiv sind. Aber als Institution kommt von der Kirche wenig.

Seit Mitte 2015 werden Abschiebungen nicht mehr angekündigt. Wie sind sie seitdem überhaupt noch zu blockieren?

Davor konnten wir noch zwei, drei Tage zur Blockade mobilisieren. Jetzt, wenn die Abschiebung sogar mitten in der Nacht vollzogen wird, ist das schwierig. Wir bekommen häufig erst hinterher mit, dass Leute abgeschoben wurden.

Gab es innerhalb der Gruppe Diskussionen über die Mittel der Abschiebungsblockaden?

Es gibt den Konsens, dass alles gewaltfrei abläuft. Wir wollen auf die Gewalt des Staates nicht mit Gegengewalt antworten. Wir wollen offen für alle Menschen in Osnabrück sein und die von Abschiebung Bedrohten friedlich unterstützen. Um deeskalierend zu wirken, kann man dann bei Blockaden nicht rumpöbeln. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum sich viele einbringen.

Erfahren Sie innerhalb der Stadt Kritik für Ihre Aktionen?

Naja, die kommt immer nur auf, wenn eine Abschiebung publik wird. Die CDU hat nun das Verhalten der Polizei verteidigt. Das ist natürlich erschütternd, wenn eine christliche Partei Gewalt befürwortet. Auch von anderen Institutionen, etwa der Kirche, kommt offiziell wenig Unterstützung.

Bisher zeigte sogar die Osnabrücker Polizei Sympathie für Abschiebeblockaden. Jetzt wurde Pfefferspray eingesetzt, und es gab Verletzte. Wie geht es jetzt weiter?

Wenn wir vor Ort waren, hat sich die Polizei zurückgehalten. Wir wissen aber von vielen Geflüchteten, dass sie sich, vorsichtig gesagt, anders verhält, wenn keine Protestierenden da sind. Wir fragen uns jetzt, wie wir Leute mobilisieren können, wenn sie damit rechnen müssen, Polizeigewalt zu erfahren. Das ist verständlicherweise abschreckend. Gleichzeitig haben sich in den vergangenen Tagen sehr viele Leute neu in die Telefonkette eingetragen.

20 Jan 2017

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André Zuschlag

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