taz.de -- Bezirksamtswahlen in Berlin: Opfer der Geschichte

Die Bürgermeisterkandidatin der Linkspartei in Lichtenberg, Evrim Sommer, fällt in zwei Wahlgängen durch. Sie soll ihren Lebenslauf geschönt haben.
Bild: Evrim Sommer im September vor dem Wahlkampfbus.

Die Linke-Politikerin Evrim Sommer wird wahrscheinlich nicht Bürgermeisterin von Lichtenberg. Sommer ist am Donnerstagabend in zwei Wahlgängen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) durchgefallen. Auf eine dritte Runde verzichtete ihre Partei. Die Kandidatur der in der Türkei geborenen Kurdin Sommer war von SPD und Grünen unterstützt worden, die gemeinsam mit der Linkspartei eine Mehrheit in der BVV haben.

Zum Verhängnis wurde der langjährigen frauenpolitischen Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus allerdings nicht ihr Migrationshintergrund, sondern Ungereimtheiten in ihrer Biografie. Mitten in die BVV-Sitzung, für die Beobachter eher Turbulenzen um die Wahl oder Nichtwahl des AfD-Rechtsaußen Wolfgang Hebold als Stadtrat erwartet hatten, platzte eine Recherche des RBB.

Danach soll Sommer ihren Lebenslauf geschönt haben. Der Vorwurf: Bereits im Abgeordnetenhandbuch vom Mai vergangenen Jahres sowie auf ihrer eigenen Homepage habe sie sich als Historikerin mit Bachelorabschluss ausgegeben, obwohl sie den Abschluss erst in dieser Woche erworben hat.

Die Sitzung wurde für fast eine Stunde unterbrochen. Es bildeten sich Kungelrunden – sowohl innerhalb der Fraktionen als auch fraktionsübergreifend. Was ist dran an den Vorwürfen? Ist Sommer als Bürgermeisterin tragbar?

Sommer war für die Spitzenkandidatur von ihrer eigenen Partei nur mit sehr knapper Mehrheit aufgestellt worden. Viele Genossen, vor allem Genossinnen, trauen der 45-Jährigen ohne Verwaltungserfahrung den Job nicht zu und wollten lieber mit Michael Grunst in den Wahlkampf ziehen. Der hat immerhin Stadtraterfahrung.

Dem BVV-Vorstand gelang es nach einer Stunde, ein Exemplar des Abgeordnetenhandbuches zu bekommen. Dort stand hinter dem Namen Evrim Sommer: „Historikerin, Übersetzerin“. Ist das die Vortäuschung eines akademischen Titels? Juristisch nicht: Der Begriff Historikerin ist nicht geschützt. Jeder darf sich so nennen, der sich dazu berufen fühlt. Erst wenn man einen akademischen Abschluss behauptet, ohne ihn zu haben, ist das strafbar.

Sie tritt wohl nicht mehr an

Linke-Fraktionschef Daniel Tietze sah damit die Vorwürfe als ausgeräumt an und fand in offener Abstimmung eine Mehrheit von SPD, Linker und Grünen. Aber nicht so in geheimer Abstimmung: Sommer bekam hier nur 25 Jastimmen, sogar nur 24 im zweiten Wahlgang. 28 hätte sie gebraucht. Und wenn tatsächlich alle Linken, Grünen und Sozialdemokraten für sie gestimmt hätten, wie es deren Fraktionschefs empfohlen hatten, hätte sie insgesamt 35 Stimmen haben müssen.

Weil ohne Bürgermeisterin kein Bezirksamt gewählt werden kann, wurde auch die Wahl der Stadträte verschoben. Das bisherige Bezirksamt muss nun weiterarbeiten. Evrim Sommer kämpfte nach dem misslungenen Wahlakt mit den Tränen und verließ die Versammlung. Kaum vorstellbar, dass sie noch einmal antritt.

Der RBB hatte seinen Bericht auf Angaben in Sommers Lebenslauf gestützt. Im Handbuch des Abgeordnetenhauses (Stand 8. Mai 2015) heißt es: 2007 bis 2015 Studium der Geschichte und Geschlechterstudien (Gender Studies) an der Humboldt Universität zu Berlin und Bachelor of Arts (B.A.).

Nach Erkenntnissen des RBB erwarb Sommer den akademischen Grad erst am Mittwoch, den 16. November, also einen Tag vor der Bürgermeisterwahl. In den Tagen zuvor habe sich die HU geweigert, entsprechende Anfragen des RBB mit Verweis auf das Datenschutzgesetz zu beantworten, aber Sommer von den Anfragen Mitteilung gemacht, berichtete der Sender.

18 Nov 2016

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Marina Mai
Plutonia Plarre

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