taz.de -- Kolumne German Angst: Bundespräsident Matussek

Entsetzen über den Trump-Sieg? Da hilft nur eins: Das ideologische Gelump wie Rassismus und Sexismus muss von Bord.
Bild: Aufpassen, sonst wird's der am Ende: Matthias Matussek

Endlich. Die ganz großen Emotionen und Selbstkasteiungen sind vorbei. Erinnern Sie sich noch, am Tag danach war ganz Facebook ein Mea culpa, alle hatten unrecht? Alle. Wirklich.

Gut, dass am Tag nach dem Tag danach alles wieder wie immer gewesen ist. Da hatten wieder alle recht. JedeR hatte schon immer gewusst, was geschehen war – die Rache der Abgehängten.

Und wer schuld war – die Linken/das Establishment/der Neoliberalismus/Obama/Merkel/Facebook/die Medien/wir. Und was passieren wird – das Ende der Welt/der Welt wie wir sie kennen/des Westens/der Demokratie/oder gleich des Abendlands.

Seither ist es etwas stiller geworden, vor allem unter den Linken und Liberalen. Tag drei ff: der Rückzug. Zuerst in die eigenen vier Wände (Trauern, In-sich-Gehen), dann unter die eigenen vier Wände (in den Bunker).

Rückzug

Oder abstrakter: Rückzug in den Schoß der Nation. Für die einen heißt das: Adidas statt New Balance. Für die anderen „Rückbesinnung auf das Nahe, die Heimat, die Nation“ (Jakob Augstein, Spon).

Alles etwas selbstreferenziell. Aber so sind sie eben, die Linken/das Establishment/die Eliten. Denn, warum sind die weißen Männer wütend? Klar, weil die oben (s. letzte Aufzählung) nichts anderes im Kopf haben als Antirassismus, Gender-Gedöns, Political-Correctness- und Sprachvorschriften.

Zwar steht das Ende der Welt an, doch die Zeit muss sein, schnell noch das ganze Gelump der Nebenwidersprüche abzuwerfen. Diesen Ballast. Denn der ist ja für die weißen Männer ein Schlag in die Magengrube. So schnell geht es und systematischer Rassismus und Misogynie sind bloß noch Nebenkriegsschauplätze. Wie praktisch. Und das obwohl der Ausgangspunkt doch gerade der Rassist und Sexist Trump war.

Und – wirklich? Trump hat gesiegt, weil in New York Unisex-Toiletten eingeführt werden sollen? – Reißt euch mal zusammen. Sonst heißt der nächste Bundespräsident Matussek. Denn Populismus können in Deutschland die Linken und Rechten.

Tabubruch

Und natürlich wissen wir auch längst, dass es nicht diese Abgehängten waren, die uns/ dem Establishment eins ausgewischt haben. Es waren Weiße, insbesondere einkommensstarke, der Mittelstand. Auch erzkatholische Hispanos. Solche, wie die eben, die hier ihre Kommentare zünden und mit Populismus gegen den Populismus anschreiben…

Und ganz egal, wie man es dreht, sie hängen mit drin – einmal haben die Rechten sich die Sache mit dem Tabubruch, die Skepsis gegenüber Eliten von den Linken abgeguckt, ein andermal sprechen die Linken jetzt erst recht so, damit sie die Unzufriedenen doch erreichen.

Und das bringt nur eins. Auf den angeblichen Trümmern des alten ein neues Wir zu formen. Wir, die wir es haben kommen sehen; wir, die wir diese US-Zustände nicht kennen. Wir, die wir „solche“ Eliten nicht haben. Wir, die wir die Demokratie zu schätzen wissen. Wir, die wir uns einig sind. Zumindest gegen die USA.

Nächster Schritt: der plumpe Antiamerikanismus. Und der hat die Deutschen noch immer mit sich versöhnt. Sodann steht Bundeskanzlerin Storch nichts mehr im Weg.

15 Nov 2016

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Sonja Vogel

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