taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Zweifeln bringt mich zum Verzweifeln

Nichts tut mehr weh als der Verlust eines gepflegten Vorurteils. Etwa, dass der Verbraucherschutz in den USA besser ist als hier – TTIP hin oder her.
Bild: Tauben sind zu anderen Tauben manchmal ziemliche Arschlöcher, sagen Biologen

„Halt!“, sage ich, als meine Tochter den falschen Bäcker betreten will. „Die Brötchen gibt’s da drüben.“

„Wir können doch mal was Neues ausprobieren“, meint sie und schlenkert die Stofftüte.

„Nichts da“, erwidert der Adenauer in mir. „Bei meinen Samstagmorgenbrötchen mache ich keine Experimente.“

Ich bin nicht allein, ich werde es beweisen: TTIP-Gegner, aufgepasst! Der folgende Text könnte bei Ihnen Wahrnehmungsstörungen verursachen! Gerade hat der VW-Konzern angekündigt, er werde rund 15 Milliarden Dollar zurückstellen, um nach dem Dieselskandal Kunden in den USA zu entschädigen. Aber wer in Deutschland den Dreck aus seinem VW ausstößt und einatmet, bekommt erst mal nix. Der Grund, laut VW-Chef Müller: In den USA sind die Grenzwerte strenger und die Behörden härter.

Das ist hart. Auch für uns TTIP-Gegner. Denn wir warnen ja immer davor, mit dem Freihandel würden die USA, der Wilde Westen des Kapitalismus, die letzte Bastion von Umwelt- und Verbraucherschutz, die Europäische Union, schleifen. Und nun das: mehr Rechte und mehr Geld für die Amis.

Ich bin ein großer Freund des gepflegten Vorurteils

Auch wenn wir so gern Ceta und Mordio schreien: Nichts tut mehr weh als der Verlust einer selbst gebastelten Weltanschauung. Ich bin ein großer Freund des gepflegten Vorurteils. Nichts hilft besser dabei, mit einer Welt zurechtzukommen, die orientierungslos zwischen IS-Terror und Pokémon Go hin und her schwankt. Wir greifen blind im Supermarkt nach der Biomilch, fahren S-Bahn statt Auto, ohne groß darüber nachzudenken, lesen die Zeitungen, die unsere Weltsicht bestätigen. Ich bin ein alter Sack, der seine Routinen liebt. Wer mich dauernd zum Zweifeln bringt, der bringt mich zum Verzweifeln.

Deshalb bin ich in letzter Zeit oft unruhig. Früher galt der schöne Spruch: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.“ Dann hielten sich die jungen Polen an diesen Slogan, gingen nicht zur Wahl und bekamen eine Regierung, die ihr Land ins Mittelalter zurückreformiert. Eigentlich war das Dogma schon 2002 gefallen, als ein Bundeskanzler Edmund Stoiber auch deutsche Soldaten in den Irakkrieg geschickt hätte. Und die jungen Briten, die bei der Volksabstimmung zum Brexit lieber zu Hause blieben, lernen gerade auf die harte Tour, dass Wahlen sehr wohl etwas entscheiden können.

Überall wanken die Vorurteile, auf denen meine Weltsicht ruht. Früher habe ich gern das Credo nachgebetet, gegen „die Wirtschaft“ werde im Kapitalismus sowieso nichts entschieden. Denkste, hat der Brexit uns eines Schlechteren belehrt: Gegen die Ausstiegswut war auch das britische Großkapital machtlos. Die Banken werden London verlassen, aber mein Vertrauen in ihre Macht hat den nächsten Knacks bekommen.

Überhaupt ist die Welt längst nicht mehr so geordnet, wie ich sie gern hätte, nichts gilt mehr: Die Bild-Zeitung feierte im letzten Jahr die Flüchtlinge und ihre deutschen Helferinnen und Helfer, statt vor einer „Asylantenflut“ zu warnen; auch Algorithmen können am Steuer eines selbst fahrenden Autos einschlafen; Tauben sind zu anderen Tauben manchmal ziemliche Arschlöcher, sagen Biologen, Falken dagegen voll die Weicheier.

Ist Berlin eine Dritte-Welt-Stadt?

Alle Welt ist sich einig, dass Berlin praktisch eine Dritte-Welt-Stadt ist, wo gar nichts mehr klappt. Aber unsere Kinder bekamen pünktlich ihre Zeugnisse, die Arzttermine wurden gehalten, und der Müll wird weiterhin abgeholt. Und in den Sommerferien wird der eine oder andere von uns überrascht feststellen, dass Deutschland in der Welt nicht ganz so bääh ist, wie wir es hier von uns gern glauben.

Eigentlich bleibt mir nur noch eine Gewissheit: dass am Ende immer der Dümmste, Reichste und Gewalttätigste siegt. Aber wenn „We the People“ im November Donald Trump zu Golfen lebenslang verurteilen und ihn nach Hause schicken, wird auch dieses Vorurteil fallen.

24 Jul 2016

AUTOREN

Bernhard Pötter

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