taz.de -- Festnahme eines Auto-Brandstifters: Ein „Insider“ der Szene
In Berlin wird ein Brandstifter ertappt, vermutet wird eine Verbindung zur Rigaer Straße. Der Festgenommene ist wohl Zuträger der Behörden.
Berlin taz | Seit der [1][Teilräumung des linksalternativen Hausprojekts Rigaer Straße 94] reißt die Serie von Autobrandstiftungen in Berlin nicht ab. In der Nacht auf Mittwoch meldete die Polizei jedoch ihren ersten Erfolg: Ein 26-Jähriger wurde in der Tasdorfer Straße in Lichtenberg dabei ertappt, wie er an insgesamt drei Fahrzeugen versuchte, Brände zu legen – behördlichen Angaben zufolge gestand er die Taten sofort. Geprüft werde nun, ob er noch für weitere Brandstiftungen verantwortlich sei.
Innensenator Frank Henkel (CDU) gratulierte der Polizei: „Diese Festnahme eines Tatverdächtigen ist kein Zufallstreffer, sondern das Ergebnis vorheriger Ermittlungen.“
Ein Zufallstreffer ist die Festnahme womöglich tatsächlich nicht, doch aus dem vermeintlichen Ermittlungserfolg der Polizei könnte ein handfester Skandal werden. [2][Bilder des Festgenommenen lassen darauf schließen], dass es sich bei dem Mann um Marcel G. handelt, einem Zuträger des Landeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes, der in der Vergangenheit umfangreich über Berlins linksradikale Szene ausgesagt hat. Unklar ist hingegen, ob er aus eigenem Antrieb handelte oder gar als V-Mann tätig gewesen ist.
Wie Vernehmungsprotokolle, die auf dem linken Internetportal Indymedia [3][veröffentlicht wurden], belegen, wurde G., damals 22 Jahre alt, im Juli 2012 nach einer Mülltonnenbrandstiftung in Hamburg festgenommen. Den Beamten präsentierte er sich als „Insider“ der Berliner linken Szene, der nun aussteigen wolle.
Ausführlich berichtete er ihnen über die Räumlichkeiten der Rigaer 94, inklusive der inzwischen geräumten Kneipe „Kadterschmiede“. Er beschrieb den Ort als Treffpunkt für die Planung militanter Aktionen. Eine Personengruppe, die sich regelmäßig in der „Kadterschmiede“ treffe, bezichtigte er eines Angriffs mit Molotowcocktails auf einen Streifenwagen am Kottbusser Tor im Juni 2012. Auf Indymedia heißt es weiterhin: „Die mittelbaren und unmittelbaren Folgen seiner Aussage waren DNA-Entnahmen, Hausdurchsuchungen (…) sowie eine Palette an Überwachungsmaßnahmen.“
Verfassungsschutz springt an
Im [4][Berliner Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2012 (pdf)] tauchte die Rigaer 94 dann erstmalig auf – und zwar als „zentrale Institution der gewaltbereiten autonomen Szene Berlins“. Ähnliche Formulierungen finden sich seitdem jedes Jahr, auch im jüngst veröffentlichten Bericht für [5][2015 (pdf)]. Hinsichtlich einer Gefahreneinschätzung der Rigaer 94 durch die Ermittlungsbehörden ist G. damit quasi als Kronzeuge anzusehen.
In mehreren Indymedia-Artikeln wird G.s Zugehörigkeit zur linken Szene dagegen seit langem bestritten. In einem [6][Text der Rigaer 94] heißt es, seine Wegbeschreibung in die „Kadterschmiede“ sei „falsch“, möglich sei lediglich, dass „G. dort als Besucher war“. In dem Text werden G.s Aussagen als „Hilferuf nach menschlicher Zuneigung“ interpretiert. In jüngerer Vergangenheit präsentierte sich G. als Redner auf einer rechten Bärgida-Demonstration.
6 Jul 2016
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Anrainer des teilgeräumten Hausprojekts haben die Polizeipräsenz in ihrem Kiez satt. Sie fordern einen Runden Tisch mit allen Beteiligten.
Der Konflikt um die Rigaer94 in Berlin-Friedrichshain reicht über Bezirksgrenzen hinaus. UnterstützerInnen geht es um Grundrechte und Mietpreise.
Bei einer Soli-Demo für ein Hausprojekt in der Rigaer Straße in Berlin ist es zu Krawallen gekommen. Mehrere Polizisten und Demonstranten wurden verletzt.
Fünf Jahre lang haben sie im Innenausschuss Rot-Schwarz angegriffen. Jetzt ziehen Udo Wolf (Linke), Christopher Lauer (Piratenfraktion) und Benedikt Lux (Grüne) Bilanz.
Der vermeintlich erste Fahndungserfolg der Berliner Polizei in der aktuellen Serie von Autobrandstiftungen entpuppt sich als üble Blamage.
Geflüchtete unterstützen das Friedrichshainer Szenehaus. Sie kritisieren, dass erneut versucht werde, ein alternatives Projekt gegen Flüchtlinge auszuspielen.
Frank Henkels Kampf gegen Berlins linke Szene führt zu Chaos. Doch auch wohlmeinende Politiker, die Gespräche fordern, liegen falsch.
Die Bewohner des Hausprojektes wehren sich gerichtlich gegen die Teilräumung. Doch sie könnten an einem Trick der Eigentümer scheitern.
Auf einer rechtsextremen Website sind offenbar Unterlagen vom Polizeieinsatz in der Rigaer Straße veröffentlicht worden. Nun ermittelt der Staatsschutz.
Die Bauarbeiten für das „Carré Sama Riga“ haben überraschend begonnen. Der Protest bleibt verhalten – weil die Szene anderes zu tun hat.