taz.de -- Kreislaufwirtschaft in Deutschland: Schutt bleibt Dreck
Recyclingfirmen werden ihre Ware nicht los, denn diese könnte belastet sein. Über Konflikte zwischen Ressourcen- und Umweltschutz.
Berlin taz | „Haben Sie einen Herzschrittmacher?“, ruft Alexander Graf der Besucherin zu, „dann können wir da nicht rangehen“. Er zeigt auf eine langgezogene, sattelschlepperförmige Maschine, einen Prellbrecher.
Der rattert und poltert ohrenbetäubend am Rand hoher Schuttberge in einem Gewerbegebiet in Berlin Spandau. Auf einem 5,5 Hektar großen Firmengelände mit eigenem Spreehafen verarbeitet dort die Firma Graf Baustoffe täglich rund 2.000 Tonnen Material, Alexander Graf ist ihr Inhaber und Geschäftsführer.
Auf großen Lastwagen oder per Schiff kommen Trümmer, Gehwegplatten und Betonteile an. Sie werden grob zerkleinert und per Hand von großen Holz- und Plastikstücken oder Kabeln befreit. Danach landen die Brocken auf dem Förderband des Prellbrechers, der sie in verschiedenen Arbeitsschritten immer weiter zerkleinert. Mittels sehr starker Magneten – die auch Herzschrittmacher außer Gefecht setzen können – befreit er den Schutt von auch kleinen Metallteilen. Zuletzt pustet ein Luftstrom leichte Plastikfetzen davon.
Rund 800.000 Euro kostet die Maschine, die Schotter in millimeter-genauer Körnung herstellt und ein Baumaterial für Straßen, Wege oder Plätze ausspuckt, dem Prüflabore die gleiche Qualität wie Steinen aus der Kiesgrube bescheinigen.
Die Hälfte des Abfalls in Deutschland ist Schutt
Bau- und Abbruchabfälle bilden den größten Müllberg in Deutschland, rund 182 Millionen Tonnen fallen jedes Jahr in Deutschland an, wenn Häuser abgerissen, Brücken saniert und Straßen erneuert werden, fast die Hälfte der gesamten Abfallmenge. Zwar werden davon laut offizieller Statistik 88 Prozent wieder verwertet – doch die Zahl ist mit großer Vorsicht zu genießen. Denn erstens landen knapp 20 Prozent des Schutts in minderwertigen Verwendungen und werden etwa dazu benutzt, um stillgelegte Abfalldeponien abzudecken oder Bergbaulöcher zu füllen.
Zweitens müssen nicht mal diese Zahlen stimmen. Denn es wird zwar gemessen, wie viel Sekundärbaumaterial die Recyclingunternehmen herstellen – wo es wie verwendet wird, wird aber eher unsauber erfasst, sagt Daniel Bleher, Stoffstromexperte des Darmstädter Öko-Instituts. „Die Daten liegen bei den Baulastträgern, also bei Gemeinden, Landkreisen oder Regierungspräsidien vor, sie werden aber nicht gesammelt und ausgewertet“, so Bleher.
Den alltäglichen Erfahrungen der Unternehmen auf dem Markt entsprechen die hohen Recyclingquoten in der Regel nicht. So will das Land Berlin seinen Omnibusbahnhof sanieren und hat die Bauleistungen dafür ausgeschrieben. Ausdrücklich sind primäre Baustoffe gewünscht, etwa Kies aus einer Kiesgrube. „Die Akzeptanz gegenüber Sekundärmaterial ist nicht da“, sagt Graf, die Bedenken seien groß, dass der Recyclingschotter belastet oder minderwertig sei.
Bauschutt kann verschmutzt sein
„Hier gibt es einen Zielkonflikt zwischen dem Schutz der Ressourcen und der Umwelt“, sagt Bleher vom Öko-Institut. Gerade haben die Freiburger Umweltforscher eine Studie zum Rohstoff Kies herausgebracht, die vor dem enormen Landschaftsverbrauch durch den Abbau über Tage warnt und den verstärkten Einsatz von Recyclingmaterial fordert. Andererseits kann Bauschutt durch frühere Nutzung verunreinigt sein, etwa mit Kohlenwasserstoffen oder Schwermetallen, und gefährdet dann Wasser und Böden.
Dieser Konflikt werde auch im Umweltministerium ausgetragen, sagt Bleher. Seit Jahren arbeitet man dort an einer sogenannten Mantelverordnung, die den Einsatz von Sekundärmaterialien neu regelt. „Aufwendig ist auch die Abstimmung zwischen den Ministerien, etwa mit dem Verkehrsministerium“, so Bleher, „etwa zu Fragen der technischen Eignung von Recyclingbaustoffen“.
Um den Bedenken aller Beteiligten frühzeitig Rechnung zu tragen, hat das Ministerium das Öko-Institut mit einem Planspiel beauftragt, um die Folgen der neuen Verordnung abschätzen zu können. Die Ergebnisse werden im Herbst erwartet, doch so viel ist absehbar: Recyclingbaustoffe haben nur dann eine Chance, wenn die Auftraggeber sie bedenkenlos einsetzen können – das heißt, sie müssen noch strenger, engmaschiger und gründlicher auf Schadstoffe hin überprüft werden als bisher.
Für den Unternehmer Graf unpraktikabel. Sein Sekundärschotter würde teurer und nicht mehr wettbewerbsfähig. Schon warnt der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser und Rohstoffwirtschaft (BDE), Grenzwerte sollten für die „Verwertung so festgelegt werden, dass minderbelastete mineralische Materialien qualitätsgesichert weiterhin verwertet werden können“. Andernfalls werde „immer knapper werdender Deponieraum durch Material, das bisher verwertet werden konnte, zusätzlich verbraucht“, sagt BDE-Präsident Peter Kurth. Aus der Recyclingfirma Graf könnte dann ein Entsorgungsunternehmen werden.
15 Jul 2016
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