taz.de -- EMtaz: Gruppe E: Belgien–Italien: Bella Italia, Baby!
Mainstream-Geheimtipp Belgien hatte keine Chance: Abgezockte Fußball-Senioren aus Italien zeigen es clearasilgesichtigen Belgiern. Ein Traum.
Die Startbedingungen: Der Hipster-Geheimtipp Belgien ist längst im Mainstream angekommen. Mit einem Tipp auf Belgien kann man nun wirklich niemanden mehr beeindrucken. Mit Spielern wie Eden Hazard, Marouane Fellaini und Kevin de Bruyne kommen die Belgier insgesamt auf einem [1][Marktwert] von schlappen 468 Millionen Euro. Zum Vergleich: In Pommesportionen (mit Mayo) sind das 187 Millionen. Lecker.
Italien ist vor allem: betagt. Trainer Antonio Conte schickt die älteste Mannschaft auf das Feld, die jemals bei einer Europameisterschaft angetreten ist. Trotzdem ist das Team auf dem Papier nicht sonderlich stark. Namen, die man vielleicht gerade noch so kennt: Buffon, de Rossi, Candreva. Ansonsten klingt die Aufstellung eher nach der Gästeliste einer Tanz-Tee-Veranstaltung in einer neapolitanischen Seniorenresidenz. Italien hat vor allem zwei Kardinalsfehler gemacht: Mario Balotelli zuhause gelassen und Andrea Pirlo in Rente geschickt. Letzterer wäre als graue Eminenz gar nicht weiter aufgefallen.
Das Vorurteil: Die Belgier verkacken. Sie kommen mit der neuen Favoriten-Rolle einfach nicht zurecht. Der Druck auf die goldene Generation ist einfach zu groß und außerdem sind da ja noch die abgezockten Italien-Opas, die nicht nur wissen, wie man Jungspunden einen Krückstock in die Speichen steckt, sondern auch ausgezeichnete Ornithologen mit Schwerpunkt auf Schwalbenflug sind. Fehlt noch ein Klischee? Achja: Die Italiener sind eine veritable Turniermannschaft.
Das Spiel: Die Belgier mischen die Oppas von der Adria in den ersten 20 Minuten so richtig auf. Den ersten Arbeitsnachweis liefert Nainggolan mit einem Volley-Pferdehuf aus 22 Metern in der zehnten Minute. Doch Buffon pariert den Schuss zur Ecke. Gerade so. Regt sich dann über die volltätowierten Hals von Nainggoland auf. Diese jungen Leute. Irgendwie hat er recht. Gut sieht das nicht aus. Sind wir wirklich schon so alt?
Da fällt uns doch glatt die Gleitsichtbrille in den Friesentee: In der 32. Minute spielt Leonardo Bonucci mit einem Traumpass den Mittelfeldmann Emanuele Giaccherini frei. Der steht alleine vor dem belgischen Torhüter Thibaut Courtois und netzt souverän ein. 1:0! Und damit noch nicht genug: Kurz darauf fehlen dem Stürmer Graziano Pelle nur Zentimeter zum 2:0. Kurz danach dürfen die Belgier endlich in die Halbzeit. Die Belgier rennen heulend auf ihr Jugendzimmer mit Dachschräge, um dort in der Ecke das Kissen vollzuweinen.
In der zweiten Halbzeit kommen die 58.000 Zuschauer in Lyon voll auf ihre Kosten: Die Belgier kommen zu einer Riesenchance durch Romelu Lukaku nach einem Drei-Pass-Konter in unfassbarer Geschwindigkeit. Den muss er eigentlich machen. Nur eine Minute später kommt Pelle zu Kopfball aus sieben Metern. Er scheitert am belgischen Schlussmann Courtois.
Auch in den Schlussminuten bleibt es ein wunderbares Spiel: Italiens rüstige Superrentner grätschen noch ein paar junge Belgier um. Der für Belgien eingewechselte Divock Origi versemmelt noch ein paar Großchancen. Und dann ist da noch der Schlussakkord: in der Nachspielzeit vollendet Pelle schließlich noch einen italienischen Konter mit einem herrlichen Volley-Schuss zum 2:0. Die clearasilgesichtigen Belgier haben zwar vieles versucht, aber gehen trotzdem mit leeren Händen nach Hause. Ergebnis: Italien 2, Belgien 0.
Der entscheidende Moment: Die [2][Packing-Rate] beim entscheidenden Pass von Bonucci war so heftig, dass Italiens Trainer Antonio Conte Nasenbluten beim Torjubel bekam.
Der Spieler des Spiels: Giaccherini: Machte vorne abgezockt die Bude, klärte hinten gegen de Bruyne. Und überhaupt reden alle nur noch von der Packing-Rate genialer Passgeber. Was ist denn eigentlich mit den Stürmern, die den Steilpass annehmen? Haben die nicht mindestens die Hälfte der Verteidiger gepäggt? Allein deshalb schon der Mann des Tages.
Die Pfeife des Spiels: Siebte Minute, erste unschöne Aktion: Der gebürtige Brasilianer auf Seiten der Italiener, Name: Eder, filletiert mit gestrecktem Bein und offener Sohle den Knöchel von Vermaelen. Gelb sieht er dafür nicht. Wenig später foult er erneut hart. Auch da: keine gelbe Karte. In der 75. Minute reißt er schließlich per verbotenem Polizei-Würgegriff den Belgier Dries Mertens von den Beinen. Und unterbindet damit mal eben so den vielversprechendsten Belgien-Konter, seit es Konter gibt. Immerhin sieht Eder endlich seine Gelbe.
Das Urteil: Für Spiele wie dieses liebt man die EM. Traumpässe, Zauberdribblings, saftige Blutgrätschen und Tore. Umso schöner, wenn niemand die sorgfältig sortierten Klischee-Schubladen durcheinander bringt. Italiener bieten trotz überaltertem Kader und fehlenden Top-Stars eine abgezockte Vorstellung. Hatten wir schon erwähnt, dass Italien eine Turniermannschaft hat…ja? Ok. Und für die Fußballhipster, die ihr Geld auf Belgien gesetzt haben, gilt wie immer: Ich fand die schon cool, als sie noch in den kleinen, verrauchten Klubs gespielt haben. Aber keine Angst, die kommen noch.
13 Jun 2016
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