taz.de -- Kommentar AfD in Baden-Württemberg: Wenn der Jude schuld sein soll
Ein jüdischer Wissenschaftler soll für die AfD den Sündenbock bei einer unbequemen Entscheidung spielen – eine dummdreiste Idee.
Die AfD befindet sich nicht nur in einer Radikalisierungsphase, sie scheut dabei auch vor keinem noch so blöden Vorschlag zurück. Der dummdreisteste kommt von Fraktionschef Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg: Ein Jude soll in der dreiköpfigen Kommission sitzen, die über den Antisemitismusgehalt der Schriften ihres Abgeordneten Wolfgang Gedeon befindet. Von deren Urteil hängt ab, ob Gedeon Fraktionsmitglied bleiben darf.
Ein weiteres Komissionsmitglied darf Gedeon selbst benennen, sodass die Einschätzung des jüdischen Vertreters ausschlaggebend sein wird. Wohlwollend kann man dies als Versuch von Gedeons Gegner Meuthen betrachten, die jüdische Perspektive in die innerparteiliche Debatte einzubeziehen.
Aber Anhänger Gedeons werden das anders sehen, wenn der Abgeordnete fliegt: Der Jude ist dann schuld – und bestätigt das paranoide Weltbild der erfundenen „Protokolle der Weisen von Zion“, nach dem das Weltjudentum hinter allem steckt. Gedeon hält die Echtheit der „Protokolle“ für wahrscheinlich. Nun, so werden Antisemiten glauben, dürfen Juden schon entscheiden, ob ein AfDler Mitglied seiner Fraktion bleiben darf.
Jörg Meuthen, dessen Rücktrittsandrohung als Fraktionschef für den Fall des Nichtausschlusses Gedeons nichts bewirkt hat, sucht also nach einem jüdischen Wissenschaftler, der ihm den Posten rettet – und selbst gerne den Sündenbock abgibt. Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Und darauf kommt nur, wer skrupel- oder ahnungslos ist.
Bei Meuthen ist es der zweite Ausfall innerhalb kurzer Zeit: Auf dem AfD-Bundesparteitag hatte er vom „rot-grün verseuchten“ und „versifften“ Deutschland gesprochen – und damit wie die Nazis seine politischen Gegner mit Metaphern von Schmutz und ansteckenden Krankheiten belegt.
Meuthen sollte zurücktreten. Ein jüdischer Wissenschaftler für seine ominöse Kommission wird sich ohnehin kaum finden lassen.
23 Jun 2016
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