taz.de -- Roma-Protest für Bleiberecht: Zuflucht in Flüchtlingskirche gesucht

Rund 30 RomaaktivistInnen protestieren am Sonntag in Kreuzberg für Bleiberecht. Auch am Montag, dem Weltflüchtlingstag, finden Mahnwachen statt.
Bild: Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma

„Alle Roma bleiben hier“, steht auf dem Transparent, das am Sonntagabend in der Flüchtlingskirche in der Wassertorstraße in Kreuzberg hochgehalten wird. Rund 30 RomaaktivistInnen demonstrieren im Anschluss an einen Gottesdienst und fordern, über Nacht in der Kirche bleiben zu dürfen – Milan Pavlovic vom Rroma Informations Centrum ist dabei. „Die AktivistInnen sind seit fast einem Monat hier in Berlin. Heute kämpfen sie für ihr Bleiberecht“, sagt Pavlovic. Der Verein unterstützt die Kampagne „Alle bleiben!“, die zur Besetzung der Kirche aufgerufen hatte.

Die Kirche biete Beratung für Flüchtlinge an, sagt Christiane Bertelsmann, die Sprecherin der Flüchtlingskirche. „Wir haben aber nicht die Räumlichkeiten, um Flüchtlinge in der Kirche übernachten lassen zu können. Das entspricht auch nicht dem Konzept der Kirche“, so Bertelsmann. Nach einem Gespräch zwischen den AktivistInnen und der Pfarrerin wurden die RomaaktivistInnen gegen ein Uhr nachts mit drei Taxen in eine Notunterkunft gebracht, so Pavlovic. Rund 100 bis 150 UnterstützerInnen der Kampagne seien vor Ort gewesen, um die AktivistInnen zu unterstützen.

Mit der bundesweiten Kampagne „Alle bleiben!“ fordern Romaorganisationen Bleiberecht und Abschiebestopp nicht nur für Angehörige der europäischen Minderheit, die in vielen Ländern Europas nach wie vor massiver Diskriminierung ausgesetzt ist. „ ‚Alle bleiben!‘ unterstützt den Kampf aller Flüchtlinge für ihr Recht, selbst zu bestimmen, wo sie leben möchten.“

Ende Mai hatten Roma und UnterstützerInnen vom Bündnis „Alle bleiben“ bereits das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas besetzt, darunter auch selbst von Abschiebung bedrohte Familien. Die Polizei löste die Besetzung noch am gleichen Tag auf.

Vermeintlich sichere Herkunftsstaaten

Zuvor hatten sowohl der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wie auch die für das Mahnmal zuständige Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas zwar Verständnis für die Forderungen der BesetzerInnen geäußert, die Wahl des Ortes aber kritisiert. Die Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu deklarieren, sei ein Fehler gewesen, sagte der Vorsitzende der Stiftung, Uwe Neumärker.

Nach der verschärften Asylgesetzgebung droht vielen der RomaaktivistInnen die baldige Abschiebung in ihre vermeintlich „sicheren Herkunftsländer“ auf dem Balkan. „Sicher ist, dass die Herkunftsländer für Roma nicht sicher sind“, gibt die Kampagne „Alle bleiben!“, auf Nachfrage der taz bekannt.

Die Kampagne hatte gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Berlin e.V. und dem Verein KommMit Berlin am Montag – dem Weltflüchtlingstag – zu einer Kundgebung am Rande des 16. Berliner Symposiums für Flüchtlingsschutz aufgerufen. Laut Kampagne waren rund 40 DemonstrantInnen bei der Kundgebung am Gendarmenmarkt.

Auch die Bundesregierung gedachte der Opfer von Flucht und Vertreibung am Montag an der Neuen Wache Unter den Linden. Vor dem Gebäude demonstrierte allerdings die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) gemeinsam mit rund 30 langjährig geduldeten RomaaktivistInnen gegen deren geplante Abschiebungen.

„Wir sind zufrieden mit der Aktion“, sagt GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch auf Nachfrage der taz im Anschluss an den Protest. Es seien viele Interessierte gekommen, unter anderem hätten sie mit ihrer Protestaktion auch die Aufmerksamkeit einiger MitarbeiterInnen des Bundestages bekommen. Um die Abschiebung langjährig geduldeter Roma, die zum Teil vor 25 Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen seien zu verhindern, „muss man sich aber Neues und Größeres als die Aktion heute“ ausdenken, so Zülch.

20 Jun 2016

AUTOREN

Alke Wierth
Sophie Schmalz

TAGS

Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti
Sinti und Roma
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti
Sinti und Roma
Sinti und Roma
Roma
Schwerpunkt Flucht
Abschiebe-Gefängnis
Schwerpunkt Flucht
Bundesrat
Peter Altmaier
Abschiebung
Schwerpunkt AfD
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti
Roma

ARTIKEL ZUM THEMA

Darf man an Gedenkstätten protestieren?: Wenn Roma gehört werden

NS-Gedenkstätten sind für Roma-AktivistInnen Orte des Protests für ein Bleiberecht in Deutschland. Wie viel Raum soll Politik an solchen Orten haben?

Porajmos und Abschiebepolitik: Gedenken – und abschieben

In Hamburg wird der Gedenkort „Hannoverscher Bahnhof“ eingeweiht, von hier wurden Sinti und Roma deportiert und vernichtet. Politische Folgen hat das heute nicht mehr.

Verfolgung von Roma in Serbien: Nirgends willkommen

Nach seiner Abschiebung aus Deutschland hielt Lutfi R.* es nur wenige Tage in Serbien aus: Als Roma werde er von der Polizei misshandelt, sagt er.

Besetzung in Bistum Regensburg beendet: Kirche schiebt Roma ab

Fünf Wochen hatten Balkanflüchtlinge in Regensburg eine Kirchenunterkunft besetzt. Am Ende holte das Bistum die Polizei und ließ räumen.

Drohende Abschiebung Richtung Kosovo: Der Unrechtsstaat wohnt in Leer

Nachdem ein Familienvater ohne Rechtsgrundlage elf Tage lang in Abschiebehaft saß, soll er am Donnerstag mit seiner Frau und sechs Kindern das Land verlassen.

Flüchtlinge im Regensburger Dom: Der Herr hält seine Hand drüber

Über drei Dutzend Flüchtlinge aus dem Balkan finden weiterhin Schutz in kirchlichen Gebäuden. Sie ziehen aus dem Dom um, weil dort die Versorgung schwierig wird.

Sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat: Grüne sagen Showdown ab

Das umstrittene Gesetz wird am Freitag doch nicht behandelt. Regierung und Grüne verabreden einen gesichtswahrenden Aufschub.

Streit über sichere Herkunftsstaaten: Kanzleramt schaltet auf stur

Marokko, Tunesien, Algerien als sichere Herkunftsländer? Kanzleramtschef Altmaier beharrt in einem Brief an die Länder-Grünen auf dieser Einstufung.

Abschiebung von Flüchtlingen in Berlin: Die Familie spielt keine Rolle mehr

Der CDU-Innensenator profiliert sich mit Abschiebungen: Selbst Familien werden entzwei gerissen, wie der Fall von Havere Morina zeigt.

Studie zur politischen Mitte: Die gespaltene Republik

Eine Studie sieht keinen wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland. Wohl aber eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft.

Fall von Diskriminierung: Rassistische Hausordnung

Eine Neuköllner Ladeninhaberin verbietet Roma per Schild den Zutritt zu ihrem Geschäft. Der Staatsschutz ermittelt.

Das war die Woche in Berlin I: Zwei Welten treffen aufeinander

Bei der versuchten Besetzung des Roma-Mahnmals zeigte sich erneut, dass es fast unmöglich ist, mit der existenziellen Verzweiflung von Menschen umzugehen.