taz.de -- Aus der zeozwei: Der Idealbürger

Alexander Van der Bellen war elf Jahre lang Chef der Grünen in Österreich. Jetzt will er Bundespräsident werden. Wer ist der Mann?
Bild: Alexander van der Bellen bei der Verkündung seiner Kandidatur für das Amt des Österreichischen Bundespräsidenten im Januar 2016

Wien zeozwei | Die anstehende Bundespräsidentenwahl in Österreich am Sonntag, 24. April ist etwas für wahre Gourmets. Wie diese noch die feinsten Unterschiede schmecken, so erlebt jetzt das Publikum noch die feinsten Schattierungen des Begriffs „Mitte“. Da gibt es die konservative Mitte, die liberale Mitte, die gewerkschaftliche Mitte. Und dann gibt es Alexander Van der Bellen, 72, der elf Jahre lang Bundessprecher der Grünen war. Er tritt als unabhängiger Kandidat zu dieser Wahl an, die in Österreich anders als in Deutschland eine Direktwahl ist.

Wer ist dieser Van der Bellen? Oder wie die einer Personenwahl adäquatere Frage lautet: Was für eine Person ist dieser „VdB“? Da sind zum einen Eigenschaften wie: moralisch, integer, anständig.

Nun muss ein Präsidentschaftskandidat mehr als nur die jeweiligen Stammwähler ansprechen. VdB löst dieses Dilemma durch einen Spagat: Er richtet seine Kampagne an zwei Themen aus: dem Thema Menschenrechte – mit der Absage an Flüchtlingsobergrenzen und dem Bekenntnis zur Hilfsverpflichtung; und dem erstaunlichen Thema Heimat. Die Erklärung liegt in seiner Biografie. Österreich hatte ihn, das Flüchtlingskind, aufgenommen. In dieser Verknüpfung bekommt „Heimat“ eine ganz andere Konnotation.

Karriere jenseits der Politik

Da sind zum anderen Eigenschaften wie: vernünftig, bedacht, ruhig, nachdenklich, überlegt, respektvoll und respekterweckend. Das sind die Charakteristika des Universitätsprofessors. Denn VdB ist der mittlerweile seltene Fall eines Politikers, der nicht nur Wissen hat – jenseits der Politik. Der nicht nur einen Beruf hat – jenseits der Politik. Sondern der auch noch eine Karriere hat – jenseits der Politik. VdB ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaft. Er war sogar Dekan seiner Fakultät. Ein Politiker, der zur „axiomatischen Präferenztheorie“ publizierte.

Spannend aber wird es, wenn man sieht, was der Professor daraus macht. Er erfüllt alle bürgerlichen Kriterien: Bildung, Respektabilität, Anerkennung, gute Umgangsformen bis hin zur Kleiderordnung. Und doch ist da noch etwas anderes. Ein Überschuss über diese Vorgaben. Ein Mehr, das hinzukommt – und alles verändert. Da sind Eigenschaften wie: authentisch, unarrogant, entspannt, sehr entspannt. Manchmal langsam. Etwa beim Sprechen. Auch im Fernsehen. Er erlaubt sich Pausen. Nachdenkpausen. Er sagt ungeheuerliche Sätze wie: „Das weiß ich nicht.“ Gelassen. Unkonventionell. Was heißt das bei jemandem, der alle Konventionen erfüllt?

Als Beleg fürs Unkonventionelle verweisen die Kommentatoren auf seine Vorliebe für schwarze Rollkragenpullover. Oder auf seinen Hang zum Dreitagebart. Aber das erfüllt die Kategorie des Unkonventionellen schon lange nicht mehr. Selbst bei Politikern.

Distanz zu den Codes bürgerlicher Kultur

Es gab da vor ein paar Jahren einen eigentümlichen Kinowerbespot. Man sah darin die unterschiedlichsten Leute – Junge, Alte, Frauen, Kinder –, auf die ein unerklärlicher Schatten fiel, wonach ihnen ein Dreitagebart wuchs und sie zu strahlen begannen. Erst zum Schluss sah man das Gesicht, zu dem der Bart eigentlich gehörte. Diese unerklärliche Freude ist vielleicht tatsächlich symptomatisch für das Phänomen VdB. Denn der Professor hat stets etwas von einem großen Buben. Einen Charme, der von seiner Verschmitztheit herrührt. Seiner Selbstironie.

Man könnte das auch als Distanz zu den Codes der bürgerlichen Kultur bezeichnen. Als spielerischen Umgang mit eben diesen. VdB zeigt: Wahre Souveränität, also das wahre autonome, das wahre bürgerliche Subjekt ist nicht jenes, welches die Normen erfüllt – sondern jenes, das auch noch das Spiel mit den Codes beherrscht.

Es bedeutet, ernsthaft zu sein – also etwa wirklich gebildet zu sein – und gleichzeitig selbstironisch. Es bedeutet, das Spiel des Öffentlichen, der Demokratie ernst zu nehmen – aber mit einem Augenzwinkern. Es bedeutet, die Vorgaben zugleich zu erfüllen und zu überschreiten. Oder anders gesagt: Das bürgerliche Ideal ist erst dann erfüllt, wenn es auch überschritten wird. Vielleicht ist ja das der Kern der grünen Kultur. Vielleicht ist das ja die grüne Mitte.

23 Apr 2016

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Isolde Charim

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