taz.de -- Kommentar Sichere Herkunftsländer: Moralische Bankrotterklärung

Die Regierung schert sich nicht um die Diskriminierung Homosexueller im Maghreb. Sie gibt aus Angst vor der AfD Minderheiten preis.
Bild: In Stuttgart kein Problem, im Maghreb eher gefährlich

Typisch für die Krise Europas in seiner demokratisch-rechtsstaatlichen Verfasstheit ist die Rezeption der Rede Barack Obamas, die dieser am Montag in Hannover hielt: Viel von TTIP war die Rede, aber nichts darüber, dass der US-Präsident auch Deutschland für dessen Pluralität der Lebensstile lobte – was man an den Christopher-Street-Paraden von Schwulen, Lesben, Trans- und Intermenschen sehe.

In der Tat sind alle öffentlichen Performances der Selbstbehauptung seitens dieser sexuellen Minderheiten dem (heterosexuellen) Mainstream abgerungen: Barack Obama weiß das wohl – aber die politisch tonangebende Elite in Deutschland nicht. Für sie scheint das sexuell vielleicht – aus ihrer Sicht – nur Hingenommene kein Anlass, auf die sexuelle Diversität der eigenen Gesellschaft stolz zu sein.

Eine Peinlichkeit, die in Kaltschnäuzigkeit umschlägt: Bei der nun verhandelten Frage sicherer Herkunftsstaaten regt der Bundesrat an, im Hinblick auf Marokko, Algerien und Tunesien LGBTI*-Menschen auszunehmen. Das lehnt die Bundesregierung ab. Sie weiß zwar, dass nichtheterosexuelle Menschen als solche in diesen Ländern vom Gesetz verfolgt und gefoltert werden. Sie weiß aber auch, dass die Torturen gern als „anale Untersuchungen“ verstanden werden. Es heißt in einer Vorlage der Bundesregierung, diese Personen müssten sich ja nicht öffentlich als sexuell Andere zeigen. Also: „Liebe Schwule, liebe Lesben, bleibt doch einfach geheim – dann habt ihr kein Problem.“

Man muss es wiederholen: Es ist eine zivilisatorische Errungenschaft, wenn LGBTI*-Menschen sich nicht verstecken müssen, sondern sie vor Homophoben geschützt werden. Wer das nicht anerkennt, hat weder die Ansprache Obamas verstanden noch die Freiheit selbst. Es wird Zeit, diese Bundesregierung mit Merkel an der Spitze wieder zu bekämpfen: Eine Regierung, die aus Angst vor der AfD Minderheiten preisgibt, handelt nicht besser, als es eine AfD an der Macht täte.

26 Apr 2016

AUTOREN

Jan Feddersen

TAGS

sichere Herkunftsländer
Maghreb
Homosexualität
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Lesestück Recherche und Reportage
sichere Herkunftsländer
sichere Herkunftsländer
Schwerpunkt Flucht
Asylrecht
Schwerpunkt Flucht

ARTIKEL ZUM THEMA

Homophobie in Marokko: Schutz ist nicht in Sicht

Der Bundesrat will entscheiden, ob Marokko ein sicheres Herkunftsland wird. LGBTI-Aktivisten berichten von Gewalt und staatlicher Repression.

Marokko, Algerien und Tunesien: Besonders viele tote „Terroristen“

Der Bundestag stimmt für die Einstufung der drei Länder als sichere Herkunftstaaten. Dort laufen derzeit größere Antiterroroperationen.

Bundestag über sichere Herkunftsstaaten: Viel Empörung, wenig Heiterkeit

Der Bundestag hat für die Einstufung Marokkos, Tunesiens und Algeriens als sichere Herkunftsländer gestimmt. Es geht um Abschreckung.

Bamf-Zahlen über Ankommende: Weniger Flüchtlinge aus Nordafrika

Die Zahl der Flüchtlinge aus Algerien, Marokko und Tunesien ist gesunken. Das Bundesamt nennt das geplante Gesetz zu sicheren Herkunftstaaten als Grund.

Bundestagsdebatte zum Asylpaket II: Grausamer Abschiebepopulismus

Die Opposition kritisiert die Asylrechtsverschärfung mit deutlichen Worten. Aber auch zwischen Union und SPD wird der Ton rauher.

Grüne über sichere Herkunftsstaaten: „Schwule kommen ins Gefängnis“

Marokko und Algerien sind keine sicheren Herkunftsländer, sagt Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen.