taz.de -- Kommentar Erdoğans Verhalten: Massive Eingriffe in die Pressefreiheit

Die Pressefreiheit wird behindert. Was hier lächerlich wirken mag, ist konsequente Einschüchterungsstrategie in der Türkei. Nun muss die EU handeln.
Bild: Schräg: Erdogan

Der deutsche Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, hat derzeit ein Dauerabonnement im türkischen Außenministerium. Bereits drei Mal war er in den vergangenen zwei Wochen dort vorgeladen, zuletzt gestern wegen seiner Teilnahme am Prozess gegen den Chefredakteur von Cumhuriyet, Can Dündar, und Erdem Gül, einen weiteren Journalisten des Blatts. Zuvor musste Botschafter Erdmann zu einer Satire über Staatspräsident Erdoğan Stellung nehmen, die in der Sendung „Extra 3“ im NDR ausgestrahlt worden war.

Die Sache mit der Satire scheint eher Routine. Täglich sichten ganze Anwaltsteams im Auftrag des Staatspräsidenten Zeitungen, Twitter-Nachrichten, Videos und Fernsehsendungen, um anschließend Strafanzeigen wegen Beleidigung des Staatsoberhaupts zu verschicken. Diese Klagen sind mittlerweile Routine und ein probates Mittel, missliebige Publikationen in den Ruin zu treiben oder aber Individuen einzuschüchtern. Was in Deutschland lächerlich wirken mag, ist in der Türkei eine konsequente Strategie der Einschüchterung.

Schwerer wiegt da schon die vehemente Kritik des Präsidenten am Besuch des deutschen Botschafters und mehrerer Generalkonsule anderer EU-Länder beim Prozess gegen die beiden bekannten türkischen Journalisten. Für Präsident Erdoğan, der in dem Prozess durch seine Anwälte selbst als Nebenkläger auftritt, sind die Angeklagten Mitarbeiter einer terroristischen Organisation (der „Gülen-Sekte“), die angeblich beabsichtigt, ihn zu stürzen. Er betrachtet sie nicht als Journalisten.

Der Besuch des Prozesses durch ausländische Diplomaten gilt Erdoğan deshalb als demonstrative Unterstützung einer Terrororganisation. Es ist richtig, dass Deutschland und die EU sich dieser Interpretation, die aus Journalisten Terroristen macht, widersetzen. Wie es übrigens das türkische Verfassungsgericht auch tut.

Unversehens ist es mit Erdoğans Protest jetzt doch noch zu einem Wertekonflikt zwischen der EU und der türkischen Regierung gekommen – trotz aller Zurückhaltung wegen des Flüchtlingsdeals, für dessen Zustandekommen gerade Deutschland sich intensive Zurückhaltung auferlegt hatte. Jetzt muss die EU zeigen, dass sie Kurs hält und sich auch weiterhin für die Pressefreiheit in der Türkei starkmacht.

29 Mar 2016

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Jürgen Gottschlich

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