taz.de -- Unternehmen fordern Schadenersatz: Atomkonzerne jammern – und klagen

Die Großkonzerne machen Verluste. Vor Gericht kämpfen Eon, RWE und Vattenfall um Entschädigung für den Atomausstieg.
Bild: Das von RWE betriebene Kernkraftwerk Biblis ging am 18. März 2011 vom Netz und wurde im Mai 2012 zum Abriss freigegeben

Berlin taz | Es sind dramatische Zahlen, die die großen Energiekonzerne in dieser Woche vermelden mussten: Der Stromkonzern RWE gab für das letzte Jahr einen Verlust von 170 Millionen Euro bekannt, Marktführer Eon verzeichnete mit 7 Milliarden Euro gar den größten Fehlbetrag in seiner Unternehmensgeschichte.

Bei EnBW liegt noch kein Jahresabschluss vor, doch das Unternehmen warnte kürzlich vor drohenden Sonderbelastungen in Höhe von 950 Millionen Euro. Der Grund für die schlechten Zahlen ist in allen Fällen der gleiche: Fünf Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima ist das Geschäftsmodell der alten Energieriesen erodiert.

Die Gas- und Kohlekraftwerke werfen weniger Gewinne ab, denn durch den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien sind die Großhandelspreise für Strom um mehr als die Hälfte gesunken. Darum haben die Unternehmen dort hohe Wertberichtigungen vorgenommen. Und Besserung ist nicht in Sicht. „Die Krise der konventionellen Stromerzeugung“, klagte RWE-Chef Peter Terium vor seinen Aktionären, habe sich „zuletzt weiter zugespitzt“.

Dazu kommt, dass auch die ehemals extrem gewinnträchtigen Atomkraftwerke keine Freude mehr machen: Die Hälfte von ihnen wurde unmittelbar nach dem Super-GAU in Japan abgeschaltet, der Rest folgt bis 2022. Statt Einnahmen gibt es dann nur Kosten – für den Abriss der Reaktoren und die Endlagerung des Atommülls.

„Ich erwarte Gerechtigkeit“

Doch wenn es nach Eon und RWE geht, soll der Ausstieg zunächst noch einmal viele Milliarden einbringen. Mit einer Verfassungsbeschwerde wollen sie – zusammen mit dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall – die Grundlage für hohe Schadenersatzforderungen an die Bundesregierung schaffen.

Im Raum stehen Summen von 8 bis 12 Milliarden Euro. Am kommenden Mittwoch verhandelt das Bundsverfassungsgericht darüber. „Ich erwarte Gerechtigkeit“, sagt Eons Vorstandschef Johannes Teyssen über den Prozess.

Die Atomkonzerne argumentieren, dass sie durch das Ausstiegsgesetz von 2011 ohne Entschädigung enteignet worden seien. Ob sich das Gericht dieser Sichtweise anschließt, ist offen. Schließlich hat der Staat den Unternehmen die Reaktoren nicht weggenommen, sondern nur ihre Laufzeiten reduziert. Aber auch das könnte als unverhältnismäßige Einschränkung der Nutzung des Eigentums gewertet werden, die nur gegen eine Entschädigung zulässig ist.

Die Vertreter des Staates halten die Erfolgschancen der Unternehmen allerdings für gering. „Wir halten das Gesetz zum Atomausstieg für verfassungskonform und werden diese Position mit Nachdruck in Karlsruhe vertreten“, sagt Michael Schroeren, Sprecher von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

Rechtmäßiger Anspruch?

Gegen die Argumentation der Konzerne spricht, dass sie beim rot-grünen Atomkonsens im Jahr 2000 einem entschädigungsfreien Ausstieg nach einer Laufzeit von 32 Jahren bereits zugestimmt hatten.

Diesen hatte die schwarz-gelbe Regierung zehn Jahre später allerdings zurückgenommen. Doch bis zum erneuten Ausstieg nach Fukushima verging weniger als ein Jahr. „Die Zeit bis zur 13. Novelle im Sommer 2011 war zu kurz, um im Vertrauen auf die Laufzeitverlängerung relevante Investitionen vorzunehmen“, meint Rechtsanwalt Sascha Michaels, der das Land Rheinland-Pfalz vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt.

Das Land ist zudem der Ansicht, dass die Laufzeitverlängerung, auf die die Unternehmen ihren Anspruch stützen, gar nicht rechtmäßig war, weil der Bundesrat ihr nicht zugestimmt hatte.

Allzu siegessicher scheinen auch die AKW-Betreiber nicht zu sein. Denn sie sind bereit, die Verfassungsbeschwerde und weitere Atomklagen zurückzuziehen, sofern die Regierung ihnen bei den Kosten für die Endlagerung entgegenkommt.

Alle Steuerzahler betroffen

Darüber verhandeln die Konzerne derzeit mit der Kommission, die im Auftrag der Bundesregierung einen Vorschlag machen soll, wie die Rücklagen der Konzerne für den Atommüll dauerhaft gesichert werden können.

Denn die schlechte finanzielle Situation der Stromkonzerne ist nicht nur ein Problem für ihre Aktionäre, zu denen bei RWE viele Kommunen und bei EnBW das Land Baden-Württemberg gehören. Vielmehr wären alle Steuerzahler betroffen, wenn eins oder mehrere der Unternehmen in den nächsten Jahrzehnten pleiteginge.

Laut Atomgesetz müssen die Unternehmen als Verursacher sämtliche Folgekosten ihrer Kraftwerke tragen, also für Stilllegung und Abriss der Reaktoren sowie die Zwischen- und Endlagerung des strahlenden Abfalls.

Die schätzt ein Gutachten der Bundesregierung auf etwa 48 Milliarden. Um diese Summe aufbringen zu können, haben die Unternehmen in ihren Bilanzen Rückstellungen gebildet; diese decken aber nur 38 Milliarden Euro ab. Ob diese Summe bei den derzeit so niedrigen Zinsen wirklich erzielt wird, ist allerdings ebenso offen wie die Frage, ob die Kosten am Ende nicht noch höher sind.

30 oder 100 Prozent Risikoaufschlag?

Die Kommission erwägt darum, den Unternehmen die finanzielle Verantwortung für die Endlagerung abzunehmen. Im Gegenzug müssten sie in den nächsten Jahren die dafür gebildeten Rücklagen von etwa 10 Milliarden Euro an einen staatlichen Fonds abführen – und zusätzlich einen Risikoaufschlag für eventuell anfallende Mehrkosten.

Über dessen Höhe wird heftig gestritten: Grüne und Umweltverbände halten 100 Prozent für angemessen, die Konzerne allenfalls 30 Prozent. Und selbst diese 30 Prozent wollen sie nicht bezahlen, sondern mit Forderungen verrechnen, die sie ihrerseits gegen den Staat geltend machen wollen.

Dazu gehören auch etwaige Zahlungen aus diversen Klagen gegen die Regierung, denn die Unternehmen sind nicht nur gegen den Ausstieg vor Gericht gezogen, sondern auch gegen die Brennelementesteuer und das neue Auswahlverfahren für ein Endlager.

Eine Einigung der Unternehmen mit der Endlagerkommission war im Februar zunächst mangels deren Zahlungsbereitschaft gescheitert. Je nach Verlauf der Verhandlung könnte sich die Verhandlungsposition deutlich verändern. Denn auch wenn das Verfassungsgericht in der nächsten Woche noch keine Entscheidung fällt, ist zu erwarten, dass die Richter bereits deutlich machen werden, wie sie die Forderungen einschätzen.

14 Mar 2016

AUTOREN

Malte Kreutzfeldt

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