taz.de -- Missbrauch anzeigen: Nein heißt Nein
Niedersachsens Polizei erfährt nur von jedem 17. Sexualdelikt. Doch immer mehr Frauen erstatten Anzeige.
HANNOVER taz | Immer mehr Frauen zeigen Sexualstraftaten bei der Polizei an. Dies geht aus der zweiten großangelegten Dunkelfeldstudie hervor, für die das niedersächsische Landeskriminalamt (LKA) im Februar und März 2015 mehr als 20.000 BürgerInnen befragt hat. Demnach wurden 2014 5,9 Prozent aller körperlich ausgeführten sexuellen Übergriffe aktenkundig. Im Jahr 2012 waren es dagegen nur 4,1 Prozent – eine Steigerung von mehr als 43 Prozent.
Allerdings erfährt Niedersachsens Polizei damit noch immer nur von jedem 17. Sexualdelikt. „Sexuelle Gewalt wird von vielen Frauen schlicht ertragen“, sagte SPD-Landesinnenminister Boris Pistorius bei der Vorstellung der Studie (siehe Kasten) in Hannover. Insgesamt gaben 2,6 Prozent der befragten Frauen, aber nur 0,3 Prozent der Männer an, allein im Jahr 2014 Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein.
Viel zu oft werden sexuelle Übergriffe „nicht als Unrecht“ bewertet und deshalb auch nicht angezeigt, so Pistorius. „Dabei haben wir ausdrücklich nach physischer, nicht nach verbaler Gewalt gefragt“, betonte Hartmut Pfeiffer, Leiter der Kriminologischen Forschung und Statistik im LKA, gegenüber der taz.
Gravierendes Vermeidungsverhalten
Auf die Frage, warum sie keine Anzeige gestellt hätten, gaben 51 Prozent der Opfer an, die Tat sei „nicht so schwerwiegend“ gewesen. 42 Prozent meinten, sie hätten die „Angelegenheit selbst geregelt“.
Dabei führt die Angst, Opfer einer Straftat zu werden, besonders bei Frauen zu gravierendem „Schutz- und Vermeidungsverhalten“, erläuterte LKA-Präsident Uwe Kolmey: Jede fünfte Frau unter 30 vermeidet es nach eigener Aussage, abends mit Bus und Bahn zu fahren – bei den über 60-Jährigen ist es jede Dritte.
Niedersachsens grüne Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz fordert deshalb, den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung auch auf gesetzlicher Ebene zu verbessern. Unerträglich sei, dass Fälle von Angrapschen, etwa der Griff zwischen die Beine an überfüllten Plätzen, nicht unter den Straftatbestand der sexuellen Nötigung fallen, sagte Niewisch-Lennartz mit Blick auf die Silvester-Übergriffe von Köln und Hamburg bereits in der vergangenen Woche im Landtag.
Nur bei Gewalt strafbar
Aktuell machten sich nur Täter strafbar, die mit Gefahr für Leib und Leben drohten. So reiche etwa „das Herunterreißen von Kleidungsstücken für sich allein“ nicht aus, um „eine Zwangswirkung zu belegen“, klagte die Ministerin.
Nötig sei, den aktuell zweistufig definierten Tatbestand – „erst mit Gewalt oder Drohung nötigen, dann sexuelle Handlung“ aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und durch ein „Nein heißt Nein“-Modell zu ersetzen.
Allerdings: Umsetzen müsse dies SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas, der einen entsprechenden Gesetzesentwurf bereits im Sommer eingebracht habe, so ein Sprecher der Ministerin zur taz. Immerhin: „Wir beobachten intensiv, wie es in Berlin weitergeht“, verspricht er.
26 Jan 2016
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