taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Wir brauchen Elite und Leistung!

Kinder, es gibt Zeugnisse. Aber: Wer die Schule vergurkt, wird meist nicht Ministerpräsident, sondern faltet bei Lidl Saftkartons.
Bild: Heute, Kinder, wird‘s was geben

Für diesen Text wird meine Familie mich hassen. Aber da muss ich durch. Denn in der Schule in Berlin gibt es jetzt Halbjahreszeugnisse. Und alle sind entspannt. Zu entspannt.

An den Noten meiner Kinder gibt es nichts zu meckern. Auch wenn eines von ihnen – die Identität verschweige ich jetzt mal – der Meinung ist, das Zeugnis sei schon gut, „weil keine Vieren drauf sind“. Na gut. Aber diese Vieren-Viren, aus Sicht eines Schülers durchaus nachvollziehbar, haben anscheinend um sich gegriffen. Eine Freundin, die Lehrerin ist, findet Noten „total überbewertet“; eine Zeitschrift schwärmt davon, wie US-Präsident Lincoln mehrmals „nach vorn scheiterte“. Und die Wochenzeitung Zeit bringt seitenweise „erfolgreiche Schulversager“ von Stoiber bis Kretschmann.

Alles schön zu lesen und im Einzelfall faszinierend. Aber ich kann nur hoffen, dass meine Kinder diese Ausgaben so ignorieren, wie sie es auch sonst mit Printmedien tun. Denn der allgemeine Tenor lautet: „Alter, sieh das hier mal ganz locker!“ Einsatz wird überschätzt. Wer was leistet und sich anstrengt, alles immer ein bisschen besser zu machen, der ist selbst schuld.

Mir sträuben sich da die Nackenhaare. Klar ist es gut, den Kindern die Angst vor der Schule zu nehmen. Aber auf jeden „erfolgreich Gescheiterten“ kommen Hunderttausende, die nach dem unrühmlichen Ende der Schulkarriere nicht Ministerpräsident wurden, sondern bei Lidl Saftkartons falten.

Und die ganzen liberalen Geister übernehmen in ihrer Ablehnung von Leistung, Erfolg und Elite völlig unreflektiert die herrschenden Definitionen eben dieser Begriffe. Demnach misst sich Leistung nach Geld, Macht, Bruttosozialprodukt, Einsatz von Kapital und Vernichtung von Natur. Das muss natürlich aufhören. Aber der erste Schritt dazu wäre es, sich diese geklauten Begriffe zurückzuerobern.

Was ich will, ist eine knallharte Leistungsgesellschaft

Denn was ich will, ist eine knallharte Leistungsgesellschaft, kein lauwarmes Mittelmaß. Versagen kommt von Verzagen. In der Kita hatten unsere Kinder exzellente ErzieherInnen. Das war Elite, die keiner so nannte. Wenn mich der Krankenpfleger in den Operationssaal rollt, dann will ich keine Chirurgin mit einer Vier im Staatsexamen. Wenn meine Tochter ins Flugzeug steigt, erwarte ich einen Piloten, der auf Zack ist. Und wenn ich Geld für Umwelt- oder Sozialprojekte spende, dann will ich sehen, wie dieses Geld Gutes bewirkt und nicht versickert. Da sind mir die härtesten Erfolgskriterien gerade gut genug.

Kurioserweise lehnt gerade das linksbürgerliche Lager Leistung in der Schule ab, nur um seine Kinder zu Hause mit Früh-Chinesisch und Babyjoga zu triezen. Und seltsamerweise erwarten viele Weltretter, das richtig große Rad – die ökosoziale Revolution, die Befreiung des Menschen vom Kapitalismus, das Paradies auf Erden, um nur ein paar Beispiele zu nennen – ließe sich auch ganz gechillt drehen.

Das aber ist ein grandioser Irrtum. Das Ende der Apartheid kostete Jahrzehnte und viele Menschenleben, der Fall der Mauer wurde nicht nur herbeigebetet. Und die globale Energiewende gibt es auch nicht zum Nulltarif. Wer den mächtigen Lobbys und Konzernen ihre billionenschweren Geschäfte vermiesen will, der muss früh aufstehen, exzellent vorbereitet sein, hart arbeiten und immer einen Tick schneller und schlauer sein als die bestbezahlten Anwälte und Manager. Dafür braucht es clevere Juristinnen, mutige Aktivisten, geniale Planerinnen und engagierte Kampagnenleiter. Und keine Schluffis, die sich erst mal wieder hinlegen.

Bei allen wirklich wichtigen Aufgaben wie dem Krieg gegen die Kohle, der Rettung der Regenwälder oder dem globalen Kampf gegen die Armut geht es einzig und allein um Ergebnisse. Und zwar schnell. Wer die Welt retten will, kann sich für Haltungsnoten nichts kaufen. Da reicht es nicht, wenn auf dem Zeugnis steht: „Er hat sich stets bemüht.“

29 Jan 2016

AUTOREN

Bernhard Pötter

TAGS

taz.gazete
Schule
Bildungspolitik
Putzen
Wir retten die Welt
Öl
Bestechung
Wir retten die Welt
Volkswagen

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne „Wir retten die Welt“: Wir lassen keine Milbe walten

Die Ökos jammern über den Verlust der Artenvielfalt. Ich spreche vom Milbenmassaker, vom Raubzug gegen Silberfische und nenne es Frühjahrsputz.

Kolumne Wir retten die Welt: Salz in unserem Tee

So schmeckt echter Luxus: Einfach nur den Wasserhahn aufdrehen – und trinken. Das ist fast so abgedreht wie Luft ohne Abgase.

Kolumne Wir retten die Welt: Ein Hoch auf die Absteiger

Anders als vor 40 Jahren müssen wir heute nicht fürchten, dass uns Kohle, Öl oder Gold ausgehen. Sondern genau das Gegenteil.

Kolumne Wir retten die Welt: Das süße Gift der Korruption

Was tut man mit Bestechungsgeschenken zum Jahreswechsel, mit Keks- und Kalenderkorruption zum Christfest? Kreativ entsorgen!

Kolumne Wir retten die Welt: Holt den Oldtimer raus aus der Stadt!

Mit dem H auf dem Nummerschild sparen Altauto-Halter jede Menge Steuern – und entern sogar Umweltzonen. Die Lösung? Einfach klauen!

Kolumne Wir retten die Welt: Diktatoren unter uns

Eine Kontrolle der Machenschaften der Chefetage fand und findet bei VW nicht statt. Auch nicht bei anderen transnationalen Unternehmen.