taz.de -- Kommentar Rücktritt des Innensenators: Notstandsgebiet namens Neumann

Innensenator Michael Neumann tritt zurück. Das hatte ihm Sozialsenator Detlef Scheele vorgemacht. Es wird einsam um Alleinherrscher Olaf Scholz.
Bild: Ist nach dem Olympia-Aus amtsmüde: Michael Neumann (SPD)

Hamburg taz | Als vor ein paar Wochen Gerüchte die Runde machten, Hamburgs Innen- und Sportsenator Michael Neumann (SPD) wolle zurücktreten, wehrte sich der Reserveoffizier ein letztes Mal tapfer. Jetzt ist es vorbei. Überraschend ist das nicht: Spätestens seit dem [1][Nein der Hamburger zur Olympia-Bewerbung] ist er amtsmüde. Neumann hat das persönlich genommen, war von der Klatsche sichtlich geschockt – und zieht mit seinem Rücktritt nun die Konsequenz.

Dass ihm durch diesen Tiefschlag vom Volk die Freude am Regieren abhanden gekommen ist, kann man durchaus verstehen. Denn vergnügungssteuerpflichtig ist das unter Olaf Scholz ohnehin nicht: Alle wichtigen Entscheidungen sind Chefsache, auch in Detailfragen aus den Ressorts arbeitet der Bürgermeister sich tief ein – und seine Senatoren müssen dann öffentlich dafür geradestehen und gegebenenfalls die Prügel einstecken.

Davon gab es für Neumann reichlich: Seine Polizei heizte vor einem Jahr den Konflikt um die Rote Flora unnötig an, indem sie blindlings in eine Großdemonstration knüppelte. Ein paar Wochen später düpierte die zweite Reihe der Polizeiführung ihren Senator: Hinter dem Rücken des Polizeichefs ernannte sie [2][ganz St. Pauli zum „Gefahrengebiet“], mit der Verfolgung des Besitzes von Klobürsten machte sich Hamburg weltweit zum Gespött. Der Grund: Angeblich hatte es einen Angriff auf die Davidwache an der Reeperbahn gegeben. Vor ein paar Wochen stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen klammheimlich ein.

Und das ganze vergangene Jahr hindurch musste Neumann immer wieder peinliche [3][illegale Praktiken von verdeckten Ermittlerinnen] in der linken Szene einräumen. Dass die Innenbehörde ihre eigene, rechtlich bedenkliche Datei auffälliger Fußballfans zwar führte, aber deren Existenz bis vor ein paar Tagen bestritt, nimmt man da schon fast mit einem Achselzucken zur Kenntnis.

Zum Notstandsgebiet ist Neumanns Amt aber erst seit der Fluchtbewegung im vorigen Herbst geworden: Die Behörde ist schon mit der Registrierung der Flüchtlinge vollkommen überfordert; was sie sich bei der Unterbringung der neu Angekommenen leistet, spottet jeder Beschreibung: [4][verschimmelte Zelte mitten im Winter], leere Baumärkte ohne Betten und funktionierende Duschen – und der Sportsenator ist nicht in der Lage, mal eine Sporthalle aufzumachen.

Dieses Versagen hat auch in der ebenfalls beteiligten Sozialbehörde für Verärgerung gesorgt. Deren Chef Detlef Scheele hat es Neumann vorgemacht und schon im Herbst seinen Hut genommen. Langsam wird es einsam um Alleinherrscher Olaf Scholz.

18 Jan 2016

LINKS

[1] /Kommentar-Olympia-Aus-und-die-Medien/!5252568
[2] /Gefahrengebiete-in-Hamburg/!5012272
[3] /Verliebt-in-die-Falsche/!5249020
[4] /Keine-Winterromantik/!5266071

AUTOREN

Jan Kahlcke

TAGS

Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Hamburg
Rücktritt
SPD
Gefahrengebiet
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Hamburgische Bürgerschaft
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024

ARTIKEL ZUM THEMA

Senator mit Bleibeperspektive: „Keine Gefahrengebiete mehr“

Hamburgs neuer Innensenator Andy Grote (SPD) im Interview über Sex & Drugs, die Flüchtlingspolitik, sexuelle Übergriffe und den G-20-Gipfel

Totes Kind in Flüchtlingsunterkunft: Flüchtlingskind gestorben

Die kleine Rana starb an Organversagen. Eltern beklagen mangelnde Hilfe in der Hamburger Unterkunft am Rugenbarg. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Hamburgs Flüchtlingskoordinator über Notunterkünfte: „Es ist ein Provisorium“

Die Baumarkt-Hallen als Unterkünfte wieder aufzulösen, ist keine Sache von wenigen Monaten, sagt Hamburgs Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel.

Sprachloser Senat: Innensenator in der Zwickmühle

Bürgerschaft ereifert sich über sexuelle Übergriffe und Flüchtlingspolitik. Erst danach wird Andy Grote (SPD) zum neuen Innensenator gewählt.

Rücktritt des Hamburger Innensenators: Neumann ohne olympisches Feuer

Ohne Olympia hat Senator Neumann keinen Bock mehr auf innere Sicherheit und tritt zurück. Nachfolger wird Bezirksamtsleiter Andy Grote.

Olympiabewerbungsende: Das Wunder von Hamburg

Die Hamburger haben abgestimmt , doch das Ergebnis fiel nicht so aus, wie es die Regierenden erhofft hatten. Sind Visionen mit dem Volk nicht zu machen?

Kommentar Olympia-Aus und die Medien: Das plumpe Hurra-Kostüm zieht nicht

Der Schulterschluss der großen Medien pro Olympia weckte anscheinend mehr Argwohn denn Überzeugung. Die Wirkmacht der Medien ist geschrumpft.

Olympia-Flott in Hamburg: Die Sause ist ausgefallen

Siegesgewiss waren die Olympia-Fans auf die große Party eingestellt. Doch dann kam das böse Erwachen. Protokoll eines gescheiterten Abends.

Olympia-Referendum: In Hamburg sagt man Nein

Eine knappe Mehrheit stimmt beim Referendum gegen die Bewerbung Hamburgs um die Spiele 2024. Die Stadt zieht ihre Kandidatur nun zurück.

Olympia: Der Preis der Sicherheit

Der Hamburger Senat hält nach den Terrorattacken von Paris an der Bewerbung für 2024 fest. Debatte um Sicherheitsvorkehrungen entbrennt.

Chaos bei Olympia-Planungen: Mit Sicherheit noch nichts passiert

Bis zum Olympia-Referendum sollten Details auch zum Sicherheitskonzept stehen: Dass die Innenbehörde die dafür nötige Projektgruppe gründen soll, weiß sie aber nicht.