taz.de -- Vorschlag zu straffälligen Flüchtlingen: Abschiebung ohne Prozess

Der CSU-Generalsekretär sorgt mit einer Forderung für Aufruhr. Politiker anderer Parteien empfehlen ihm einen Integrationskurs und den Blick ins Grundgesetz.
Bild: Immer für einen Vorschlag gut: Andreas Scheuer.

Straubing dpa | In der Diskussion um den Umgang mit straffälligen Flüchtlingen hat CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer mit einem neuen Vorschlag für Empörung beim Koalitionspartner SPD gesorgt. Scheuer will Flüchtlinge, die eine Straftat begangen haben, auch ohne Prozess abschieben. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) konterte: „Wer verdächtige Flüchtlinge ohne Prozess abschieben will, hat offensichtlich nicht verstanden, dass wir in einem Rechtsstaat leben.“ Ähnlich äußerten sich auch die Grünen.

Hintergrund der Diskussion sind die massiven Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln. Dort hatten Gruppen von Männern vor allem Frauen umzingelt, begrapscht und bestohlen. Nach ersten Ermittlungsergebnissen waren die Täter überwiegend Nordafrikaner. Unter den Verdächtigen sind auch Asylbewerber. Als Konsequenz will die Bundesregierung die Ausweisung von kriminellen Ausländern und Asylbewerbern erleichtern.

Scheuer hatte der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung gesagt: „Nicht erst das Strafmaß nach einer Verurteilung soll Grundlage für eine mögliche Abschiebung sein, sondern bereits ein Delikt. Wenn die Beweislage eindeutig ist, darf es keine Toleranz gegenüber Straftätern geben.“

SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel kritisierte, Scheuers Vorstoß laufe auf die Abschaffung rechtsstaatlicher Prinzipien für Flüchtlinge hinaus. „Andreas Scheuer braucht dringend einen Integrationskurs, um etwas über unser Grundgesetz zu erfahren“, sagte Schäfer-Gümbel der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Unschuldsvermutung

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter empfahl Scheuer ebenfalls, „einen Blick in unser Grundgesetz werfen, anstatt ständig darauf herumzutrampeln“. Die Unschuldsvermutung sei eines der Grundprinzipien eines jeden Rechtsstaates und gelte ausnahmslos für alle Menschen. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki erklärte, der Vorschlag sei verfassungswidrig.

In Deutschland wird jeder Beschuldigte bis zum rechtskräftigen Beweis des Gegenteils als nicht schuldig angesehen, dementsprechend ist er zu behandeln. Die Unschuldsvermutung ist in Deutschland seit 1950 unmittelbar geltendes Recht, und zwar über Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Scheuer verteidigte sich am Donnerstagnachmittag gegen Kritik. „Rechtsstaatliche Prinzipien sind durch meinen Vorschlag nicht gefährdet.“ Jeder Asylbewerber könne gegen seine Ausweisung klagen. „Aber Fakt ist: Wir brauchen schnellere Asylverfahren, und Asylverfahren sollen bei Straftätern nicht durch langwierige Strafverfahren noch zusätzlich verlängert werden.“ Die Ausweisung sei ein präventives Handeln zur Gefahrenabwehr.

14 Jan 2016

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