taz.de -- Dschihadisten in syrischer Hauptstadt: Vorerst kein Abzug aus Damaskus
Knapp 4000 Kämpfer und Zivilisten sollten die Stadt am Samstag verlassen. Durch den Tod eines Rebellenführers ist die Umsetzung eines Abkommens ins Stocken geraten.
Damaskus afp | Eine bisher einmalige Vereinbarung über den Abzug von tausenden Kämpfern der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) aus mehreren Vierteln von Damaskus ist von den Beteiligten vorerst ausgesetzt worden. Die Busse, die die Kämpfer aus der syrischen Hauptstadt bringen sollten, seien leer wieder abgefahren, hieß es am Samstag aus Verhandlungskreisen. Grund für die „Suspendierung“ des Abkommens sei die Tötung von Rebellenchef Sahran Allusch.
Das bislang einzigartige Abzugs-Abkommen zwischen der Regierung und den Vertretern von drei belagerten Vierteln in Damaskus war am Freitag verkündet worden. Es sah nach Angaben aus Verhandlungskreisen vor, dass rund 4000 Menschen am Samstag das Palästinenserlager Jarmuk und die benachbarten Viertel Kadam und Hadschar al-Aswad verlassen sollten. Unter ihnen sollten neben Zivilisten auch 2000 Islamisten sein, die meisten davon IS-Kämpfer, aber auch Mitglieder des Al-Kaida-Ablegers Al-Nusra-Front.
Wenige Stunden nach Verkündung des Abkommens wurde allerdings der Tod von Allusch bekannt. Der Chef der einflussreichen Rebellengruppe Dschaisch al-Islam wurde übereinstimmenden Berichten zufolge am Freitag bei einem Luftangriff getötet. Der 44-Jährige starb gemeinsam mit fünf weiteren Kommandeuren in Ost-Ghuta nahe Damaskus. Ein syrischer Sicherheitsvertreter sagte, die syrische Luftwaffe habe die Rebellen mit russischen Raketen angegriffen. Die Truppen von Präsident Baschar al-Assad versuchen derzeit mit einer massiven Offensive, die Region wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen.
Nachfolger für Allusch steht schon fest
Inzwischen soll die Rebellengruppe Dschaisch al-Islam einen Nachfolger für Sahran Allusch benannt haben. Die Armee des Islams werde jetzt von Issam al-Buwajdhani geführt, einem bisherigen Feldkommandanten, teilte die von Saudi-Arabien und der Türkei unterstützte Gruppe am Samstag mit.
Alluschs Gruppe hatte vor zwei Wochen in Riad an den Vorbereitungsgesprächen der syrischen Opposition für Friedensverhandlungen mit der Regierung von Präsident Baschar al-Assad teilgenommen. Die syrische Regierung bezeichnet Dschaisch al-Islam als Terroristen, mit denen sie nicht verhandeln werde.
Mehrere Rebellengruppen würdigten Allusch als einflussreichen Kämpfer gegen Assad. Ein Mitglied der Ahrar al-Scham, Labib Nahhas, forderte, der Tod Alluschs sollte zum „Wendepunkt ib der Revolution“ werden und die Rebellen müssten erkennen, dass sie mit einem „Vernichtungskrieg“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin konfrontiert seien. Auch die Al-Qaida-Gruppe in Syrien, die Nusra-Front, kondolierte zum Tod Alluschs und wünschte seinem Nachfolger Glück.
26 Dec 2015
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Bei Luftangriffen in Nordsyrien sind mindestens zehn Menschen getötet worden. Zwei Krankenhäuser wurden zerstört, darunter eins von Ärzte ohne Grenzen.
Der Austausch von Zivilisten in Syrien ist nur scheinbar ein Hoffnungszeichen, denn andere Verhandlungen platzten. Die Opposition ist vielstimmig.
Nadschi Dscherf, der die Gräueltaten des „Islamischen Staates“ in Nordsyrien dokumentierte, wurde am Sonntag im Zentrum von Gaziantep erschossen.
Oppositionelle sehen den Angriff auf den Chef der „Armee des Islam“ als Torpedierung der Verhandlungen. Sie sprechen von einem „Vernichtungskrieg“.
Raketen auf Hospitäler, Schüsse auf Rettungsfahrzeuge, Fassbomben auf Untergrundkliniken: grausiger Alltag für Mediziner in Syrien.
In Jordanien sind rund 630.000 Flüchtlinge registriert. Die jungen Leute unter ihnen haben kaum Zugang zu Bildung. Majd Khodury ist einer von ihnen.
Nach der UN-Resolution äußern Oppositionelle Kritik. Völlig unklar ist, wer die Regierung Assad am Verhandlungstisch vertreten soll.
Syriens Regime und seine Gegner sollen ab Januar verhandeln. Doch erst muss die Opposition ihre Reihen schließen – ein schwieriges Unterfangen.
Hat die Anti-IS-Koalition syrische Regierungstruppen angegriffen? Das behauptet Damaskus. Es wäre der erste Luftschlag gegen Soldaten des Assad-Regimes.
Der Militäreinsatz in Syrien hilft dem IS, aber nicht den Zivilisten. Bomben- und Flugverbotsverbotszonen sind nötig.