taz.de -- Kommentar Terror und Sicherheit: Angst ist ein Arschloch
Haben die USA mit ihrer politischen und gesellschaftlichen Paranoia doch richtig auf 9/11 reagiert? Ein einfacher wie falscher Gedanke.
Dem Schock, der Trauer und der Wut nach einem Anschlag folgen Fragen, Analysen, politische Handlungen – und seit dem 11. September 2001 immer auch der Blick in die USA. Die Vereinigten Staaten handelten nach dem Terror mit mehr als 2.900 Toten beispiellos. Beispiellos in der Konsequenz, diesem Terror mit allen politischen und militärischen Mitteln zu begegnen.
Im Jahr nach den 9/11-Anschlägen verabschiedete der Kongress ohne größere Debatten 48 Gesetze und Resolutionen. Unter ihnen der berüchtigte [1][Patriot Act], in dessen Namen Grenzen der Überwachung und der Macht des Staates, in die Privatsphäre der BürgerInnen einzugreifen, nachhaltig verschoben wurden.
Neben tödlichen, politisch absolut fragwürdigen und dazu kostspieligen Kriegen im Irak und in Afghanistan wurden die US-amerikanischen Geheimdienste und Behörden wie die Heimatschutzbehörde mit Milliardenbudgets ausgestattet. Sicherheit, Terrorbekämpfung und Patriotismus waren – und sind noch immer – die Schlagwörter, mit denen diese Maßnahmen gerechtfertigt wurden.
Die Gesellschaft der USA, dem „land of the free“, wie es in der Nationalhymne heißt, veränderte sich. Nein, die Shoppingcenter, Kinos und Baseballstadien sind nicht leer, weil die Menschen Angst haben, auf die Straße zu gehen. Dennoch sind viele von ihnen viel ängstlicher geworden. Zu Recht? Sollten wir nicht alle vorsichtiger werden und staatliche Eingriffe, wie sie in den USA zu beobachten sind, für mehr Sicherheit hinnehmen?
Innere Haltung
Natürlich gibt es keine absolute Sicherheit, auch die USA wurden nach 9/11 ein weiteres Mal zum Ziel eines Anschlags im eigenen Land, als eine Bombe beim Boston-Marathon vor zwei Jahren gezündet wurde. Aber wer weiß, was ohne die Maßnahmen der Bush-Regierung noch alles passiert wäre? Doch das ist ein einfacher wie falscher Gedanke.
Die Angst, die sich in den USA Stück für Stück breitgemacht hat und auch 14 Jahre nach den Anschlägen immanent ist, ist eine, die die innere Haltung vieler Amerikaner verändert hat. NSA-Skandal mit Datenschutz- und Privatsphäredesastern? Da zucken viele nur mit der Schulter. Wenn es hilft, einen möglichen nächsten Anschlag zu verhindern, wird das gerne akzeptiert. Vorurteile gegen Fremde gehen soweit, dass ein 14-jähriger muslimischer Junge zum Terrorverdächtigen wird, weil er eine selbstgebastelte Uhr mit in seine Schule bringt.
Von rechten bis konservativen Politikern werden diese Ängste noch geschürt. Die, die sich eigentlich einen möglichst kleinen Staat wünschen, der wenig in das Private eingreift, rufen am lautesten nach Gesetzen, Kontrolle und Polizei, wenn es um den Schutz des Landes geht. Und ohne sie geht es nicht, natürlich nicht.
Weniger frei
Wer aber in den Tagen nach Paris auf der Suche nach Antworten auf die USA und ihren Umgang mit Terror blickt, muss genau hinschauen. Auf die großen Linien wie die fatalen Kriege, die als Reaktion auf 9/11 geführt wurden, oder das Gefangenenlager Guantánamo, in dem immer noch mehr als 100 Menschen einsitzen.
In dieser Hinsicht hat Frankreich nicht nur rhetorisch – „Wir sind im Krieg“ – reagiert, sondern auch militärisch, als es am Sonntagabend seine bislang schwersten Luftangriffe gegen Stellungen des IS in Syrien flog. Eine Antwort, die den IS allein, soviel ist seit Monaten klar, nicht besiegen wird.
Geblickt werden muss aber auch auf das vermeintlich Kleine, das Gesellschaftliche, das Alltägliche. Dort haben sich die AmerikanerInnen treiben lassen von der Rhetorik vieler Politiker – die diese in Anbetracht der Anschläge in Frankreich eilig wieder in ihren Präsidentschaftswahlkampf aufgenommen haben – und den eilig verabschiedeten Gesetzen. Aber auch immer wieder von ihrer eigenen Paranoia. Sicherer ist ihr Leben dadurch nicht geworden. Nur weniger frei.
16 Nov 2015
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