taz.de -- Unzulässige Unterbringung: Junge Flüchtlinge alleingelassen
Celle bringt 13-jährige unbegleitete Flüchtlinge in einer Unterkunft für Erwachsene unter. Das Sozialministerium fordert, den Zustand zu beenden
Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern auf der Flucht sind, müssen vom Jugendamt in Obhut genommen und in Pflegefamilien oder Jugendeinrichtungen betreut werden. So steht es im Gesetz. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wirft der Stadt Celle nun vor, diese Kinderrechte zu missachten. Denn in der Notunterkunft in Scheuen auf dem Gelände einer früheren Kaserne wurden seit September bis zu 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) betreut, darunter über zwei Monate lang zwei 13-jährige Jungen.
Eine ehrenamtliche Unterstützerin hatte die zwei Kinder und etliche weitere Jugendliche vor zehn Tagen auf einer Info-Veranstaltung angetroffen. „Ich habe mich an die Stadt gewandt mit der Bitte, sie schnellstmöglich dort rauszuholen“, berichtet die Frau. „Eine Woche später waren sie immer noch dort.“ In einem Brief teilte das örtliche Jugendamt ihr mit, man wisse, „diese Situation in Scheuen entspricht nicht den rechtlich vorgesehenen Erfordernissen einer Inobhutnahme.“ Die Stadt sei jedoch vor acht Wochen ohne Vorankündigung vor die Notwendigkeit gestellt worden, zusätzlich zu den bereits untergebrachten 20 jungen Flüchtlingen 80 weitere zu versorgen. Man hoffe, noch in diesem Jahr alle „entsprechend der gesetzlichen Norm untergebracht zu haben.“
Das dauert viel zu lang, fand die Frau. Sie wandte sich an den Flüchtlingsrat Niedersachsen, der das Sozialministerium einschaltete. „Die Rechtslage ist eindeutig“, sagt Flüchtlingsrat-Sprecher Kai Weber. „Die Stadt Celle hat die Kinder in Obhut zu nehmen.“ Die Einrichtung sei vom Katastrophenschutz aufgebaut, „da ist es sauber und trocken, aber keiner kümmert sich, was mit den Kindern los ist und dass sie zur Schule angemeldet werden“. Celle sei zuständig für die Kinder und müsse den Hilfebedarf individuell feststellen. Und wenn man nicht genug Jugendeinrichtungen habe, müsse man welche in anderen Kommunen finden.
Das Sozialministerium erklärte, die Lage sei bekannt. Im Ortsteil Scheuen seien derzeit 38 der stadtweit insgesamt 103 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge untergebracht. „Wir haben die Stadt Celle aufgefordert, diesen Zustand zu beenden“, so Sprecher Uwe Hildebrandt. Diese habe zugesichert, dass dies „so schnell wie möglich erfolgt“. Seit dem 1. November gilt ein neues Gesetz, wonach minderjährige Flüchtlinge nach dem „Königsteiner Schlüssel“ auf Länder und Kommunen verteilt werden. Demnach müsste Celle 36 unterbringen. Aber auch für alle, die bereits dort sind, bleibt die Stadt zuständig.
Das Land Niedersachsen hat nicht einmal die Hälfte der Quote von 5.400 erfüllt. „Wir rechnen, dass jede Woche 50 dazu kommen“, sagt Ministeriumssprecherin Heinke Traeger. Alle Kommunen seien dabei, die nötigen Jugendhilfekapazitäten aufzubauen. Eine neue Dienstanweisung erlaubt zur „Akutversorgung“ auch die Unterbringung in Provisorien wie Wohncontainern. Dies sei allerdings auf maximal vier Wochen befristet und nur für Jugendliche über 16 Jahre vorgesehen.
Der zuständige Stadtrat Stephan Kassel sieht Celle zu Unrecht an den Pranger gestellt. „Zu lesen, wir missachteten Kinderrechte, das ist traurig“, sagt er. Wobei auch er einräumt, dass die Lage nicht den Vorschriften entspricht. „Wir bemühen uns, das zu ändern.“
Betrieben wird die Unterkunft vom Malteser Hilfsdienst, der eine Sozialpädagogin eingestellt hat. Auch seien die Jugendlichen nicht in Zelten, sondern in eignen Wohnhütten untergebracht und somit für sich, sagt der Stadtrat. „Das Jugendamt ist dabei, das eng zu begleiten.“ Man müsse auch schauen, was die Jugendlichen wollten.
Einer der beiden 13-Jährigen sei mit drei anderen Jungen aus Afghanistan geflohen und eng befreundet. „Die wollten zusammenbleiben“, so Kassel. Nun kämen sie nächste Woche in eine Wohngruppe.
In Celle soll nun eine neue Jugendeinrichtung mit 28 Plätzen entstehen. „Die sollte eigentlich zum Jahresende stehen, jetzt versucht die Stadt es in zwei Wochen“, sagt Stadtrat Kassel.
23 Nov 2015
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