taz.de -- Kanadas neuer Premier Trudeau: „Welt, wir sind zurück“

Krieg, Klima, Flüchtlinge: Premier Justin Trudeau will die Außenpolitik umkrempeln. Nur beim Handel gibt es wohl keinen Wandel.
Bild: Justin Trudeau gelang ein historischer Machtwechsel. Der neue Premierminister wird als Superstar gefeiert.

OTTOWA taz | Justin Trudeau der Überraschungssieger, der Hoffnungsträger, der Superstar. Am Tag eins nach dem historischen Machtwechsel in Kanada sonnte sich der neue Premierminister noch einmal in seinem unerwartet klaren Erfolg, bevor er dann den im Wahlkampf versprochenen Wandel einleitete – und ein erstes außenpolitisches Zeichen setzte.

Trudeau griff zum Telefonhörer, rief den US-Präsidenten Barack Obama an und teilte diesem mit, dass seine Regierung alle Luftangriffe gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak beenden werde. Zwar werde sich Kanada auch weiter am Anti-IS-Kampf beteiligen, sagte Trudeau hinterher in seiner ersten Pressekonferenz. Er habe Obama aber klargemacht, dass er sich an sein Versprechen aus dem Wahlkampf halten und die Jets abziehen werde.

Kanada beteiligt sich bisher mit sechs CF-18-Hornet-Bombern an der internationalen und von den USA geführten Koalition gegen den IS. Die Flugzeuge sollten eigentlich bis März 2016 in der Region bleiben. Nun werden sie nach Kanada zurückkehren. Das Land hat außerdem 70 Ausbilder ins Kurdengebiet im Nordirak entsandt, die vorerst dort stationiert bleiben.

Dagegen will Trudeau die humanitäre Hilfe Kanadas bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise aufstocken. Er versprach, bis zum Jahresende bis zu 25.000 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen zu wollen. Bislang waren es nur ein paar wenige Tausend gewesen.

Neuer Aktionsplan bei der Klimapolitik

Die Entscheidungen sind Indizien dafür, wie sehr sich die kanadische Außenpolitik unter Trudeau verändern dürfte. „Unseren Freunden auf der Welt möchte ich Folgendes sagen: Viele von euch waren in den letzten zehn Jahren besorgt, dass Kanada seine konstruktive und mitfühlende Stimme auf der Welt verloren hat“, sagte der Premier am Dienstag in Ottawa. „Im Auftrag von 35 Millionen Kanadiern sende ich heute eine einfache Botschaft: Wir sind zurück!“

Dem US-Präsidenten hat Trudeau am Telefon versichert, dass Kanada auch in der Klimapolitik nach Jahren des Stillstandes wieder eine aktivere Rolle übernehmen werde. Während sein Amtsvorgänger Stephen Harper aus dem Klimaschutzprotokoll von Kioto ausgetreten war und vor allem die Interessen der Erdölindustrie vertreten hatte, will Trudeau diesen Winter mit einem neuen Aktionsplan persönlich zum Weltklimagipfel nach Paris reisen.

Auch die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen dürften sich unter Trudeau wieder verbessern. Kanada galt viele Jahrzehnte lang als ein Vorreiter bei friedenserhaltenden UN-Blauhelm-Einsätzen, unter Harper waren diese allerdings beinahe völlig zum Erliegen gekommen. In der Nahostpolitik will Trudeau wieder eine ausgleichende Rolle einnehmen, während sich Harper einseitig auf die Seite Israels geschlagen hatte.

Nur wenige Änderungen sind dagegen in der internationalen Handelspolitik zu erwarten. Trudeau befürwortet im Grundsatz das kürzlich abgeschlossene Trans-Pazifische Freihandelsabkommen mit Ländern aus dem asiatischen Wirtschaftsraum und den Ceta-Vertrag mit der Europäischen Union. Es steht nicht zu erwarten, dass er diesen Vertrag noch einmal aufschnüren will. Ganz so viel Wandel ist dann doch nicht.

21 Oct 2015

AUTOREN

Jörg Michel

TAGS

Justin Trudeau
Kanada
Premierminister
Außenpolitik
Justin Trudeau
Schwerpunkt Syrien
Kanada
Schwerpunkt TTIP
Kanada
Kanada
Schwerpunkt TTIP
Kanada
Kanada
Kanada

ARTIKEL ZUM THEMA

Superhelden bei Marvel Comics: Du strahlendes Pferdchen!

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau tritt in einem Superhelden-Comic auf. Dass das nun passiert, ist nur konsequent.

Kampf gegen den IS in Syrien und Irak: Kanada zieht sich zurück

Ministerpräsident Trudeau erfüllt ein Wahlversprechen: Das kanadische Militär fliegt keine Luftangriffe mehr. Die Zahl der Spezialkräfte im Nordirak wird dafür erhöht.

Syrische Flüchtlinge: Willkommenskultur auf Kanadisch

25.000 Syrer will Kanada aufnehmen. Die ersten 6.300 sind da – darunter die Familie des ertrunkenen dreijährigen Aylan Kurdi.

Ceta-Neuverhandlungen mit Kanada: 3,3 Millionen Unterschriften

EU-Präsident Martin Schulz will Kanadas Regierung zu Neuverhandlungen über Ceta auffordern. Thema sollen die privaten Schiedsgerichte sein.

Neuer Premierminister Kanadas vereidigt: „Because it‘s 2015“

Justin Trudeau präsentiert ein Kabinett mit 50 Prozent Frauenanteil. Er verspricht Transparenz, ein Ende des Sparkurses und die Aufnahme syrischer Flüchtlinge.

Einsatz gegen IS in Syrien und Irak: Kanada beendet Luftangriffe

Nach der Wahl in Kanada stoppt Sieger Justin Trudeau den Kampfeinsatz gegen den IS. Russland und USA wollen ihren Luftangriffe künftig koordinieren.

Kanada und die Freihandelsabkommen: Wandel oder doch windelweich?

Kritiker von Ceta und TTIP setzen Hoffnungen in Kanadas Wahlsieger. Doch eine klare Gegnerschaft lässt sich im Programm der Liberalen nicht finden.

Kommentar Machtwechsel in Kanada: Klatsche für anti-islamische Parolen

Ein ermutigendes Zeichen: Kanadas bisheriger Premier Stephen Harper wetterte gegen Muslime und Flüchtlinge. Der Schuss ging nach hinten los.

Parlamentswahl in Kanada: Wie der Vater, so der Sohn

Justin Trudeau gelingt in Kanada ein historischer Machtwechsel. Das Land besinnt sich wieder stärker auf seine liberalen Wurzeln.

Parlamentswahl in Kanada: Küsschen statt Kopftuch

Mit antiislamischen Parolen kämpft der amtierende Premierminister Stephan Harper um seine Wiederwahl. Im Zentrum der Debatte: der Gesichtsschleier.