taz.de -- Die eine Frage: Dann ist das mein Land

Es ist an der Zeit, sich die Hände schmutzig zu machen: Wessen Land ist Deutschland? Linker Patriotismus muss her.
Bild: Bis nach Budapest reicht der sagenhafte Ruf der Kanzlerin. Szene vom Bahnhof Keleti, Anfang September.

Noch nie war die CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel klassischen Linken so nahe, wie in jenem Moment, da sie in der Flüchtlingsdebatte ihren problematischsten Satz sprach: „... dann ist das nicht mein Land“.

Sie meinte: Wenn man nicht mal mehr Flüchtlingen helfen darf. So ähnlich haben Linksgrüne eine aus der deutschen Schuld entstandene „verquere Form negativer Identität“ (Harald Welzer) bis in das 21. Jahrhundert transportiert. Wenn das hier so ist, dann ohne mich. Wenn es hier noch Nazis gibt. Und Gartenzwerge. Wenn Heino singen und die Bild-Zeitung erscheinen darf. Wenn hier die CDU regiert. Und die CSU. Diese ganze Menschenverachtung. Also, nö. Oder vielmehr „pfui!“, wie die für Empörung zuständige Bundesgrüne in diesen Tagen twittert.

Wenn unsere (West-)Alten vom Krieg erzählen, von ihrem Krieg, dann kommt die Rede schnell auf den linksalternativen Tunix-Kongress 1978. Das Motto lautete: „Flüchten oder aushalten.“ Ab in die Toskana oder ab in die Nische. Weil: Deutschland ging ja gar nicht. Die meisten wurden dann Staatsbeamte. Den Widerspruch nahmen sie so tapfer hin wie die Pension. Selbstverständlich blieben sie in Opposition zu „diesem Staat“, wie man korrekt zu sagen hatte. Old Ströbele regte sich noch bei der WM 2006 über Deutschlandfahnen auf. Und Young Kipping warnte vor jeglicher Form des Patriotismus.

Und nun sind wir durch die Flüchtlingsdynamik an einem tatsächlich historischen Punkt angelangt. „Wir“ Links- und Ökobürgerliche können dieses Land bewusst zu unserem Land machen – und die EU gleich mit. Aber eben nicht gegen „die“ Rechts- und Wirtschaftsbürgerlichen. Sondern nur mit ihnen. Blöd. Doch es kommt noch härter. Die Neugestaltung muss unter den Bedingungen der Realität geschafft werden. Und da ist es leider so: Selbst wenn unser Land keine Grenzen mehr hätte, die Realität hat Grenzen.

Niederlage und Bestätigung

Robert Habeck, der Kandidat für die grüne Spitzenkandidatur 2017 – traut sich eigentlich sonst noch jemand? – hat ein wegweisendes Buch geschrieben, in dem er „linken Patriotismus“ als notwendige Grundlage für sozialökologische Veränderung definiert. Man muss seinem Gemeinwesen positiv verbunden sein, um für die Gesellschaft etwas hinzukriegen. Habeck schreibt auch: „Man kann nicht gleichzeitig anpacken und sich nicht die Hände schmutzig machen.“

Die Grünen können recht behalten, weil sie manches tatsächlich schon vorher gewusst haben. Oder sie können ihre moraltheoretisch richtigen Positionen der eingetretenen Realität anpassen, weil es in dieser Wirklichkeit niemandem hilft, wenn sie sogenannte rote Linien einfrieren. Moral kann sich nur im Handeln vollziehen. Also in den Ländern und Kommunen, in denen Grüne wie Habeck, Kretschmann, Al-Wazir regieren. In der Realität, die dort geschaffen werden kann. Und geschafft werden kann.

Das ist in jedem Fall weniger, als wünschbar wäre. Der klassische Negativ-Linke müsste daher jegliches Erreichte als Niederlage und Bestätigung dafür einsortieren, dass das hier nichts werden kann. Erst recht nicht, wenn Grüne regieren.

Der linke Patriot aber wird daran arbeiten, den offenbar selbst Merkel ergreifenden Wunsch vieler Bürger nach einer Neujustierung von Eigeninteressen und Solidarität in gesellschaftlichen Fortschritt umzumünzen. Unter den Bedingungen der Realität, also einer Merkel-Gesellschaft, die von Errungenschaftskonservatismus geprägt ist, und zwar links wie rechts.

Die Formel lautet: So vielen wie möglich helfen, so viel wie möglich verändern. Dafür muss man anpacken. Und sich die Hände schmutzig machen. Let’s do it. Es ist unser Land.

18 Sep 2015

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Peter Unfried

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