taz.de -- Opposition in Syrien: Lasst uns in Ruhe, wir trauern
Die Revolutionsbewegung ist gescheitert, sagt unsere Autorin. Und ist es leid, ständig sich selbst und die Opposition verteidigen zu müssen.
Wir saßen unter dem grauen Himmel von Bonn und er sagte mit seinem ägyptischen Englisch: „Wenn Baschar aufhört, Isis zu bekämpfen, dann haben wir alle ein Problem.“ Ich konnte mir nicht helfen. Sehr laut und sehr scharf antwortete ich: „Baschar bekämpft wen?!“ Er schwieg und sah mich an wie ein Teenager, der weiß, dass er davonkommen wird. „Gib mir ein Beispiel, wo Assad gegen den IS gekämpft hat. Nur eines! Denn meines Wissens nach hat die Freie Syrische Armee in Aleppo und die Kurden in Hasaka gegen die Islamisten gekämpft.“
Lächelnd rollte er mit den Augen und ich wünschte, ich könnte ihm eine reinhauen, mitten in sein Lächeln.
Was mich wirklich verrückt machte, war die Tatsache, dass er kein schlechter Mensch war. Ich begegne Leuten wie ihm jedes Mal, wenn ich reise und an einer internationalen Konferenz oder einem Workshop teilnehme, so wie hier in Bonn. Dabei bewege ich mich gewöhnlich unter eher linksorientierten Aktivisten oder Bloggern.
Und jedes Mal verbringe ich meine Zeit damit, entweder mich selbst oder die Revolution in Syrien zu verteidigen oder zu rechtfertigen und beantworte Fragen nach dem Wann, Warum, Was, Wer und so weiter. Leute fragen mich aus oder verhören mich fast so, als wäre ich die Kriminelle, nicht das Opfer von Gewalt. Am meisten tut dabei weh, dass ich früher immer gedacht habe, wir würden für die gleiche Sache kämpfen. Und noch mehr, dass diese so genannten Menschrechtsaktivisten und -kämpfer häufig Führungsfiguren in ihren Communitys sind.
Wir waren am Arsch
Ich ging zurück in mein Hotelzimmer und heulte. Ich wollte dringend zurück zu meinen Freunden in Istanbul, zurück in meine Blase, wo ich mich sicher fühle und niemand mich wie eine Verbrecherin behandelt. Wir sind keine Kriminellen, wir sind nur sehr fragil und gebrochen. Wir haben fast alles verloren, alle Träume von einer Zukunft für unser Land sind kaputt.
Wir sind auf die Straße gegangen, haben die Freiheit mit unserer ganzen Seele verteidigt, so lange, bis es nicht mehr möglich war, friedlich zu bleiben, dann waren wir am Arsch, was wir ja zugeben. Aber was hätten wir tun können, um das zu verhindern? Nichts.
Wir haben so hart für unseren Traum gearbeitet, aber wir konnten ihn nicht verwirklichen. Wir haben vielen Menschen auf unserem Weg verloren, Leute sterben in Assads Gefängnissen unter Folter, andere verhungern, andere werden vergast und erschossen. Ja, wir sind gescheitert und wir kennen auch unsere Fehler und brauchen bestimmt keine Fremden, die mit dem Finger auf uns zeigen und sich so schlau dabei fühlen.
Wir zahlen für unsere Fehler und wir haben aufgehört, die Welt anzuklagen, nach dem wir begriffen haben, dass diese Welt nicht aus vereinten Nationen besteht, die Menschenrechte nicht verteidigt werden und all die schönen Labels von der Freiheit und den Menschenrechten Lügen sind und nur dazu dienen, politische Interessen zu wahren. Wir trauern, und die Welt könnte uns einfach mal in Ruhe lassen.
Wie der singende Hund
Am gleichen Tag aß ich nachts mit einer deutschen Frau zu Abend. Sie machte einen sehr ruhigen und entspannten Eindruck, und das war genau das, was ich brauchte. Deutsche scheinen allgemein sehr respektvoll mit persönlichen Freiräumen und auch Werten umzugehen.
Und so war das Abendessen sehr angenehm, bis die Frau überraschenderweise plötzlich völlig überrascht war.
Das Flüchtlingsthema kam auf den Tisch und auf einmal fühlte ich mich wie dieser kleine Hund, der auf YouTube singt. Das Video von ihm war vor ein paar Monaten der Renner. Die Frau war erstaunt über so gut wie alles, was ein Syrer heute noch so machen kann.
Dass sie versuchen, schnell Deutsch zu lernen, dass viele gut Englisch sprechen, dass einige von ihnen Künstler und Musiker sind, andere weiter für ihr Leben kämpfen und Kinder kriegen. Die Liste war noch lang. Ich bin aber kein Kind, genauso wenig wie die meisten Syrer. Wir haben einen Krieg in unserem Land, ja, und ja, wir mussten vieles ertragen, aber das macht uns nicht zu Tieren, das macht nicht jede Kreativität von uns zu einer Sensation.
Und dann noch die Waffen
Am nächsten Morgen sprach mich ein tunesisches Mädchen an und fragte mich am Frühstückstisch: „Warum habt ihr euch bewaffnet?“ Weil wir es lieben, wir sind als Wilde geboren. Sie dachte, ich hätte einen Witz gemacht. Machte ich aber nicht. Ich war verletzt. Verletzt und wütend.
Ob ich das ernst meinte, fragte sie nach. Ja, sagte ich lächelnd, und fügte hinzu: „Wir sind eine brutale Nation, weil wir unter einem sehr blutigen Regime aufgewachsen sind, das auch heute nicht aufhört, Menschen zu töten, während Menschen es super finden, sich hier hinzusetzen und mich über die Revolution auszufragen.“ Dann machte ich eine Pause.
Ich wollte noch hinzufügen: „Wir sind gewalttätig, weil ich im Alter von 12 Jahren in der Schule lernte, wie man eine Waffe auseinandernimmt und wieder zusammensetzt.“ Wir sind gewalttätig, weil wir in Militäruniformen zur Schule gingen und zwei Mal die Woche exerzierten. Wir sind gewalttätig, weil wir für sehr lange Zeit so leben mussten, wir hatten keine Wahl, und als wir hofften, etwas verändern zu können und in den Widerstand gingen, beschimpft und in Frage gestellt wurden und unsere Revolution rechtfertigen mussten. Doch merkte ich nur, wie ich sie anlächelte und Tschüss sagte.
(Aus dem Englischen von Ines Kappert)
11 Jul 2015
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