taz.de -- Kommentar zum Griechenland-Gipfel: Friss oder stirb

Die Eurogruppe hat kühl kalkuliert, dass Tsipras irgendwann einlenken muss. Trotzdem ist es falsch, von einem Triumph zu sprechen.
Bild: Andere geben Alexis Tsipras (Mitte) den Weg vor.

Der Griechenland-Gipfel ist am Montagabend [1][ergebnislos zu Ende gegangen], aber die Botschaft der Gläubiger ist eindeutig: Friss oder stirb. Die Regierung Tsipras hat zu akzeptieren, was die Eurogruppe vorschlägt. Die verbale Verpackung wird zwar geschmeidiger, doch der Inhalt des „Kompromisses“ ist unverhandelbar. Kompromiss ist daher auch gar nicht das richtige Wort, es handelt sich um ein Diktat.

Im Kern streiten sich Griechenland und seine Gläubiger seit Monaten um die immer gleiche Frage: Kann das Land noch weiter sparen, obwohl die griechische Wirtschaft um fast ein Drittel geschrumpft ist? Oder wird die Krise noch schlimmer, wenn der Staat ständig kürzen muss? Das technische Wort für diesen Disput heißt „Primärüberschuss“. Damit ist das Haushaltsplus gemeint, wenn man den Schuldendienst abzieht.

Auf den ersten Blick wirken die Gläubiger großzügig, weil sie für dieses Jahr nur einen Primärüberschuss von einem Prozent verlangen. Doch in den nächsten Jahren soll das griechische Haushaltsplus deutlich steigen – und noch über den Werten liegen, die das reiche und florierende Deutschland erreicht. Die Ideen der Troika sind völlig illusorisch, auch wenn Kanzlerin Merkel ständig so tut, als wäre sie der personifizierte Pragmatismus.

Tsipras hat Recht, wenn er gegen diese Sparpolitik der Gläubiger rebelliert, die die griechische Wirtschaft stranguliert. Aber dieser Widerstand war immer aussichtslos. Denn die Eurogruppe könnte gut damit leben, wenn es zu keiner endgültigen Einigung kommt. Man kann die Griechen auch knebeln, indem man sie von Monat zu Monat „rettet“ – und ein Grexit ständig möglich bleibt.

Eurogruppe riskiert immer noch den Grexit

Solange ein solcher Austritt denkbar ist, wird niemand in Griechenland investieren – und die Wirtschaft weiter schrumpfen. Für die Griechen ist es daher extrem kostspielig, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Die Eurogruppe hat kühl kalkuliert, dass Tsipras irgendwann einlenken muss. Jetzt hat er offenbar nachgegeben und die Primärüberschüsse akzeptiert.

Trotzdem ist dies kein Triumph der Eurogruppe, die gern den Fehler macht, in den Kategorien von Sieg und Niederlage zu denken. Doch es kann keinen Sieg geben. Selbst wenn Tsipras Primärüberschüsse zusagt, werden sie niemals fließen, denn eine schrumpfende Wirtschaft kann keine Überschüsse produzieren. Zudem ist keineswegs sicher, wie die Verhandlungen ausgehen. Die Eurogruppe riskiert noch immer einen Grexit, bei dem sie nichts gewinnt – der aber die ganze Eurozone sprengen kann. So sieht Wahnsinn aus.

23 Jun 2015

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Ulrike Herrmann

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