taz.de -- Syrische Kurden im Irak: Gegen Assad, gegen den Krieg

Mehrere tausend Kurden sind aus dem Nachbarland in den Nordirak geflohen. Die Kurden misstrauen jedoch der arabischen Opposition und warten erst einmal ab.
Bild: Im Lager für syrische Flüchtlinge in der Stadt Zakho im Nordwesten des Irak.

DOMIZ taz | Die Angst macht auch vor der Grenze nicht halt. „Nenn mich einfach John“, sagt der junge Kurde. John war Soldat in Syrien. Am Anfang habe er sogar einen gewissen Stolz empfunden, dem syrischen Staat zu dienen, sagt John. Doch zwei Monate später war es damit vorbei. Nach Ausbruch der Revolte gegen das Regime von Baschar al-Assad wurden er und seine Einheit zur Niederschlagung der Proteste eingesetzt. „Unser Kommandant sagte, wir müssten bewaffneten Banden das Handwerk legen“, sagt John. „Aber das stimmte nicht. Wir haben nur unbewaffnete Zivilisten gesehen. Wir waren es, die Angst und Terror verbreiteten.“

Was John im Gespräch beschreibt, ist ein Feldzug, der nur einem Ziel diente: der systematischen Einschüchterung der Zivilbevölkerung und der Erstickung jeglichen Aufbegehrens gegen das Regime. „Zuerst umstellten Panzer den Ort, dann schossen wir in die Luft, um die Leute einzuschüchtern. Anschließend durchkämmten wir das Gebiet und nahmen viele, viele Leute fest.“

Die Befehlsgewalt lag laut John beim Geheimdienst. „Anhand von Listen, die uns der Geheimdienst gab, mussten wir Haus für Haus durchsuchen und Leute verhaften.“ Viertel für Viertel und Dorf für Dorf mussten sich die Soldaten zuerst in Deraa im Südwesten, dann in Hama im Westen und schließlich in Deir al-Zor im Osten des Landes für die größte Lüge des Assad-Regimes, wie es John nennt, die Hände schmutzig machen. „Wir waren es, die auf unschuldige Zivilisten geschossen haben.“ Der 25-Jährige ist Pharmazeut und diente deshalb als Sanitäter. Trotzdem habe er verletzte Zivilisten nicht behandeln dürfen.

Mehrfach versuchte John zu desertieren. Die Moral in seiner Truppe sei miserabel gewesen, sagt er. Etliche seiner Kameraden seien zur sogenannten Freien Syrischen Armee (FSA), der bisher größten Rebellengruppe, übergelaufen. Doch John will nicht Krieg führen. „Ich will nicht töten, egal wen“, sagt er. Durch Bestechung erreichte er, dass ihm der Kommandant ein paar Tage Fronturlaub gab. Von seinem Heimatort Heseke setzte er sich in den kurdischen Nordirak ab.

Jeden Tag neue Flüchtlinge

In einem Flüchtlingslager in Domiz südwestlich der Provinzhauptstadt Dohuk lebt er jetzt zusammen mit einigen hundert anderen jungen Männern. Nach Auskunft der lokalen Behörden sind seit Anfang März rund 3.500 syrische Kurden in den kurdischen Teilstaat im Nordirak geflohen. Viele sind bei Verwandten untergekommen. Weil aber jeden Tag neue Flüchtlinge ankommen, hat das UNO-Flüchtlingshochkommissariat zusammen mit der kurdischen Regionalregierung auf Hügel oberhalb von einem ehemaligen irakischen Militärcamp in Domiz eine kleine Zeltstadt aufgebaut. Noch seien die Mittel für die Versorgung der Flüchtlinge ausreichend, sagt einer der Verantwortlichen. Sollte der Zustrom jedoch größer werden, bräuchte die Regionalregierung internationale Hilfe.

Schätzungsweise zwei bis drei Millionen Kurden leben in Syrien, vor allem im Norden und Nordosten. Vielen hat das Assad-Regime über Jahrzehnte hinweg die Staatsbürgerschaft verwehrt, und ihre Sprache, die nicht mit dem Arabischen verwandt ist, wird bis heute unterdrückt. Im letzten Jahr hat Assad die Einbürgerung erleichtert. „Viel zu spät“ nennt Abed Mustu aus Qamishli den Beschluss. „Baschar wollte sich damit unser Schweigen erkaufen. Aber wir Kurden sind zu hundert Prozent gegen das Regime.“

In kurdischen Städten wie Qamishli, Haseke oder Afrin gebe es fast jeden Tag Demonstrationen, sagt der Student, der wie John seinen wahren Namen nicht verraten will. Überall wimmle es von Geheimdienstlern. Im Gegensatz zum Rest des Landes habe Assad allerdings nicht die Armee in die kurdischen Gebiete geschickt. „Assad will nicht noch eine Front aufmachen, deshalb hält er sich zurück“, sagt Mustu. Aber Freunde von ihm seien verhaftet und gefoltert worden. Er selbst sei geflohen, als er Wind davon bekommen habe, dass er ebenfalls auf der Liste stehe.

Sie alle sind sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Assad-Regime fällt. Trotzdem will keiner zu den Waffen greifen. „Ich hasse den Krieg und ich hasse Baschar“, sagt Mustu. Mit düsterer Miene nicken etliche in der Runde. „Wir warten, bis das Regime gestürzt ist und setzen dann unsere Forderungen durch“, wirft einer der Älteren ein. Die Anerkennung der Kurden und ihrer Sprache ist das Mindeste, was die meisten wollen. Viele sehen jedoch den kurdischen Teilstaat im Nordirak als Vorbild. Für viele in der Opposition ist ein Abrücken von der arabischen Identität Syrien freilich ein rotes Tuch. „Wir Kurden wollen sicher sein, dass es uns später nicht schlechter geht als unter Assad“, sagt Mustu.

25 Apr 2012

AUTOREN

Inga Rogg

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