taz.de -- Kommentar Kriegsverbrecherprozess in Stuttgart: Weltjustiz aus Deutschland
Das laufende Verfahren in Stuttgart gegen zwei FDLR-Milizionäre ist juristisch neu für Deutschland. Es öffnet für Deutschland eine Tür zur Welt.
Kriegsverbrecherprozesse erfordern einen langen Atem. Besonders, wenn die Kriege weit weg sind. Die deutsche Justiz ist das nicht gewohnt. Man merkt das am peniblen Vorgehen des 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart im laufenden [1][Verfahren gegen zwei in Deutschland lebende Ruander], die eine Miliz im Kongo führen. Im Kongo gibt es kaum juristische Strukturen, die Arbeit mit Zeugen und Opfern kann für diese lebensgefährlich sein, und die Täter führen während des Prozesses weiter Krieg. All das sieht die deutsche Strafprozessordnung nicht vor.
Der Stuttgarter FDLR-Prozess öffnet in Deutschland eine Tür zur Weltjustiz – und zugleich zeigt die geöffnete Tür, wie weit der Weg noch ist. Die Globalisierung des Rechts ist längst im Gange. Es mangelt nicht an grenzüberschreitenden Normen, weltweiten Zuständigkeiten, internationalen Gerichten. Die Globalisierung der Justiz aber, also die praktische Umsetzung des globalisierten Rechts, steht noch ganz am Anfang.
Nationale Souveränität ist im Justizwesen zumeist noch absolut, grenzüberschreitende Arbeit bleibt die Ausnahme und in der Praxis mit hohen Hürden behaftet. Im FDLR-Prozess mag das dank der Nichtexistenz einer funktionierenden kongolesischen Justiz weniger auffallen, aber die Umstände der Ermittlungen vor Ort und der Umgang mit Zeugen vor Gericht werfen immer wieder legitime Fragen auf.
Sollte einmal die deutsche Bundesanwaltschaft Kriegsverbrecher aus Syrien oder Verantwortliche für US-Drohnenangriffe in Pakistan anklagen wollen, dürfte das auf ganz andere Weise problematisch werden.
Der FDLR-Prozess lässt das Ausmaß der noch unbewältigten Herausforderungen im globalen Kampf gegen Straflosigkeit erahnen. Für die taz ist er noch aus einem besonderen Grund wichtig. Wir widmen seit dem Völkermord in Ruanda den mörderischen Konflikten im Afrika der Großen Seen besondere Aufmerksamkeit, und taz-Recherchen haben dazu beigetragen, das Augenmerk einer breiteren Öffentlichkeit auf das unselige Wirken der FDLR-Führung in Deutschland zu lenken.
Dieselbe Aufmerksamkeit verdient auch der weitere Verlauf des FDLR-Prozesses. Er hat Signalwirkung nicht nur für die globalisierte Justiz und nicht nur für Deutschland. In Kongos Kriegsgebieten, nicht hier, stehen Menschenleben auf dem Spiel. Ihr Schutz ist das höchste Gut.
19 Aug 2012
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