taz.de -- Journalistische Selbstzensur in der Türkei: Worte mit Bedacht gewählt

Die türkische Regierung setzt Journalisten unter Druck. Wenn sie zu kritisch berichten, drohen Entlassungen oder Haftstrafen. Die Folge ist Selbstzensur.
Bild: Berichterstattung über die türkische Außenpolitik oder die Kurdenfrage? „Das ist vermintes Gebiet“, sagt ein Redakteur.

Eine Exklusivstory hatte die türkische Tageszeitung Sabah auf ihrer Homepage angekündigt. Ohne deren Inhalt preiszugeben, warb sie mit einem Banner für die Printausgabe des nächsten Tages. Wenige Stunden später war der Hinweis verschwunden – eine Exklusivstory suchten die Leser tags darauf vergebens.

Der große Artikel sollte im August erscheinen und enthüllen, dass der Ende Juni von Syrien abgeschossene türkische Kampfjet sehr wohl in syrischen Luftraum eingedrungen war – anders als von der türkischen Regierung dargestellt. Darüber, was sich in den Stunden zwischen der Ankündigung und dem Erscheinen der Zeitung abgespielt hat, sagt ein Redakteur: „Es ist sehr offensichtlich, dass es hier Einfluss von offizieller Stelle gab.“ Er spricht gar von einem „üblichen Vorgang“, wenn nicht im Sinne der Regierung berichtet wird.

Journalisten verschiedener Medien sprechen von thematischen Tabus, für die ungeschriebene Regeln gelten. Meist würden kritische Themen schon innerhalb der Redaktion scheitern, kein Chefredakteur will sich Ärger einhandeln. „Also beginnst du, dich selbst zu zensieren“, sagt der Sabah-Redakteur, insbesondere in der Berichterstattung über die türkische Außenpolitik oder die Kurdenfrage: „Das ist vermintes Gebiet.“

Wer trotzdem versucht, ein heißes Eisen anzufassen, muss mit persönlichen Konsequenzen rechnen. Der Redakteur, der die Syriengeschichte recherchiert hatte, arbeitet heute nicht mehr für Sabah, sondern für das boulevardeske Schwesterblatt Takvim. Die Gründe sind unklar. Viele Journalisten fürchten um ihre Jobs, auch weil es in den vergangenen Monaten und Jahren abschreckende Beispiele gab.

Opfer des Systems

„Es gibt Regeln und Verbote“, sagt Banu Güven, die ihre Worte mit Bedacht wählt. Wenn die 43-Jährige über Pressefreiheit spricht, ist sie sichtlich betroffen. Sie ist ein Opfer des Systems. Im vergangenen Jahr hatte die renommierte Moderatorin vor den Parlamentswahlen für ihren Nachrichtensender NTV eine Kandidatin der prokurdischen BDP interviewen wollen. Der Sender untersagte das Gespräch und beendete kurz darauf die langjährige Zusammenarbeit. Ein Schock für die Journalistin.

Wenn dem Ministerpräsidenten eine Sendung nicht gefallen hat, erzählt Güven, habe schon mal dessen Büro angerufen und vorgeschlagen, eine Stunde Programm mit einem Minister zu machen – quasi als Wiedergutmachung. „Die Sendungen werden oft direkt von Politikern und der Regierung bestimmt“, sagt sie. „Die Beziehung von Regierung und Medien bestimmt, was gemacht werden darf – und was nicht.“

Die Wege sind mitunter kurz: Der Vorstandsvorsitzende der Calik Holding, des Imperiums, das die Tageszeitung Sabah hält, ist ein Schwiegersohn des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Meist ist für eine regierungsfreundliche Berichterstattung aber gar keine familiäre Bindung nötig. „Es ist ein durch und durch korruptes System, das ein Aufblühen der Demokratie behindert“, sagt Ömer Madra, Gründer des Istanbuler Radiosenders Acik Radyo.

Madra sitzt an seinem Schreibtisch in den Redaktionsräumen nahe dem Taksimplatz. Der 67-Jährige genießt als Umweltaktivist viel Anerkennung, ein weiteres zentrales Thema in den Sendungen seines Privatsenders sind Menschenrechte und deren Verletzung. Auch Berichte der türkischen Medien werden hinterfragt, ihre Aufbereitung von Themen wird mit der Darstellung in internationalen Zeitungen verglichen.

„Es wird schlimmer“

„Die Medien in der Türkei waren den Regierenden immer wohlgesinnt, egal wie autoritär sie waren, ob militärisch oder nicht“, sagt Madra, dessen Sender im Jahr 2000 zu einem 15-tägigen Sendeverbot verurteilt wurde, nachdem aus Charles Bukowskis Kurzgeschichte „Die schönste Frau in der ganzen Stadt“ vorgelesen worden war. „Aber es wird schlimmer“, sagt er.

Ministerpräsident Erdogan ist dafür bekannt, auf alles allergisch zu reagieren, was ihm nicht in den Kram passt. Regelmäßig ist die Presse Ziel seiner Attacken. Egal wie stromlinienförmig ihm die Redaktionen folgen, er fühlt sich nicht ausreichend gewürdigt. Den Vorständen der Medienhäuser riet Erdogan schon mal, sie sollten ihre Redaktionen strenger regieren. Journalisten müssen in dieser Atmosphäre nicht nur die Arbeitslosigkeit fürchten.

Mehr als 90 sitzen nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (ROG) derzeit in Haft, Hunderte stehen auf schwarzen Listen, meist wird willkürlich die Unterstützung terroristischer Organisationen unterstellt. Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit lag die Türkei 2011 auf Platz 148 von 179.

Banu Güven sieht die repressiven Bedingungen in Zusammenhang mit den wiederholten Wahlerfolgen der Regierungspartei AKP: „Je stärker Erdogan wurde, desto autoritärer wurde er auch. Er denkt, dass er das Recht hat, alles zu bestimmen: ob Paare heiraten, wie viele Kinder wir bekommen sollen, die Kurdenfrage, was ein Journalist kritisieren darf.“

Autoritärer Regent

Dabei hat es Erdogan mit einer Medienlandschaft zu tun, die einem autoritären Regenten eigentlich gefallen müsste: Nahezu jedes Zeitungshaus ist im Besitz von Unternehmern, Konflikte zwischen einer freien Berichterstattung und den Interessen eines anderen Unternehmenszweigs sind vorprogrammiert. Wie bei der Sabah, der im Verkauf viertstärksten Zeitung des Landes: Die Calik Holding unterhält ein weites Netz aus Unternehmen, darunter mit Gap auch eine Baufirma.

Gap verantwortet die Aufwertung des Istanbuler Viertels Tarlabasi nahe dem Taksimplatz: Hier sollen Luxuswohnungen entstehen, Gated Communities, dafür werden denkmalgeschützte Häuser abgerissen, Anwohner vertrieben, teils enteignet. Kritische Töne über diese Maßnahmen sind in der Sabah nicht zu finden, im Gegenteil wurde das Projekt in mehreren Artikeln als vorbildlich gelobt.

Die Sabah ist nur ein Beispiel von vielen: Die in Deutschland wohl bekannteste türkische Zeitung, Hürriyet, und das Boulevardblatt Posta sowie Fernsehsender wie NTV gehören einem Tochterunternehmen des Mischkonzerns Dogan Holding, der auch im Bau- und Immobiliengewerbe, in der Autoindustrie und der Energiewirtschaft seine Finger im Spiel hat und mit der Garanti eine der größten Banken des Landes unterhält.

„Warum sollte die Zeitung eines Konzerns über die Risiken der globalen Erwärmung schreiben, wenn derselbe Konzern doch von der Entwicklung eines Kraftwerks profitiert?“, fragt Ömer Madra. Neben die Selbstzensur der Redakteure tritt aus Eigeninteresse eine unternehmerische.

Direkte Abhängigkeiten vom Staat

Zu den internen Verflechtungen kommen direkte Abhängigkeiten vom Staat: Viele Geschäfte der verschiedenen Unternehmenszweige hängen vom Wohlwollen der Regierung ab – etwa in Form von Staatsaufträgen oder Genehmigungen. Es hat in der Türkei Tradition, dass Medienhäuser vor allem zum Zweck der politischen Einflussnahme erworben werden. Geld lässt sich mit ihnen nicht verdienen.

„Wir können nicht wirklich von einer demokratischen Gesellschaft sprechen, wenn die Pressefreiheit durch einen enormen indirekten Druck auf jeden eingeschränkt wird, der die Regierung nicht unterstützt“, urteilt Radiomacher Ömer Madra. Als er seinen Wunsch nach einer unabhängigen Berichterstattung ausspricht, die nicht von den Profitabsichten einer Unternehmenssparte abhängt, muss er grinsen, als habe er sich beim Träumen ertappt: „Ich weiß auch, dass das utopisch ist.“

Nach ihrem Ausscheiden bei NTV schrieb Banu Güven einen offenen Brief an Ministerpräsident Erdogan, in dem sie ihn beschuldigte, ein Klima der Angst zu schüren, das Journalisten in die Selbstzensur treibe. Die Journalistin muss schmunzeln: „Er hat mir nicht zurückgeschrieben.“

21 Oct 2012

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Torsten Landsberg

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