taz.de -- Kommentar Protest Ägypten: Frust und Furcht in Kairo
In den Protesten gegen Präsident Mursi kommt vor allem eines zum Ausdruck: Das tiefe Misstrauen der Ägypter gegenüber der Obrigkeit.
Der massive Protest gegen die jüngsten Maßnahmen des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi wird angetrieben von Frust und Furcht nichtislamistischer Kreise, fast zwei Jahre nach dem Sturz Husni Mubaraks in ein neues totalitäres Regime abzutreiben. In eine Diktatur der Muslimbrüder oder gar der – weitaus radikaleren – Salafisten.
Festgemacht wird das vor allem an den Dekreten, mit denen Mursi in den letzten Tagen die Justiz zu entmachten versuchte, aber auch am „Hauruckverfahren“, mit dem gleich darauf der Entwurf für eine neue Verfassung durchgepeitscht wurde. Die Fronten scheinen ebenso klar wie unverrückbar: Islamistische politische Kreise hier, säkulare Reformer und Angehörige religiöser Minderheiten dort.
Muslimbruder Mursi, der Präsident aller Ägypter sein will, fühlt sich zu Unrecht angegriffen. Das alte Regime versuche – etwa mit Hilfe von Juristen aus der Mubarak-Ära –, die Revolution zu stoppen, indem es bei freien Wahlen unterlegene Gruppen gegen die Wahlsieger aufhetze. Und Mursi greift zur altbewährten Verschwörungstheorie: dass auch das Ausland hinter den Protesten stecke.
Die Konterrevolution ist aber nicht im Gange. Sondern es kommt vielmehr das tiefe Misstrauen der Ägypter gegenüber der Obrigkeit zum Ausdruck, die die Leute ja noch nie als mündige Bürger behandelt hat. Im Gegenzug hat der Präsident es versäumt, das Volk zu beruhigen: dass in der neuen Verfassung Freiheiten verankert sind, die es früher nicht gab, dass seine Vollmachten nur bis zur Annahme der Verfassung gelten und darüber am 15. Dezember abgestimmt wird.
Bei etwas mehr Geschick seinerseits hätten die Ägypter Präsident Mursi diese zwei Wochen sicher ohne Protest zugestanden.
2 Dec 2012
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