taz.de -- Im Ruhrgebiet geht's steil bergab: Wo die Sonne verstaubt
Von wegen Strukturwandel. Das einst reiche Ruhrgebiet verarmt immer mehr. Aber die Region macht in Zweckoptimismus, obwohl es kaum Anlass gibt.
KÖLN taz | Wenn im Revier an etwas kein Mangel besteht, dann an Zweckoptimismus. „Der Phönix fliegt!“, überschrieb der Initiativkreis Ruhr seinen Kongress über die Entwicklung des Ruhrgebiets, der Anfang der Woche in der ehemaligen Zeche Nordstern in Gelsenkirchen stattfand.
„Hier lässt man nicht die Ohren hängen“, lobte Bodo Hombach, Exwirtschaftsminister in NRW und Moderator des Unternehmensnetzwerks. „Mir ist um die Zukunft des Ruhrgebiets überhaupt nicht bange“, sekundierte SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
Der [1][Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands] spricht eine andere Sprache. Danach gehört das Ruhrgebiet neben Berlin zu den „mit Abstand besorgniserregendsten Regionen in Deutschland“. Die Armutsquote liegt bei 18,9 Prozent, die Hartz-IV-Quote bei 14,1 Prozent. Tendenz steigend. Bis in die 50er-Jahre war das Ruhrgebiet eine der reichsten Regionen Deutschlands. Doch seitdem dreht sich für die rund 5,3 Millionen Menschen, die in den 53 Städten zwischen Wesel und Hamm im größten Ballungsraum Deutschlands leben, die Spirale abwärts.
Es ist das Revier der verpassten Chancen: Statt früh auf Strukturwandel zu setzen, hielten die SPD-geführten Landesregierungen von Heinz Kühn über Johannes Rau bis Peer Steinbrück über Jahrzehnte an einer überkommenen Industriepolitik fest.
Zechen-, Stahlwerk- und Autofabrikensterben
Die Folgen waren fatal. Allein im Bergbau gingen im einstigen Kohlenpott fast 500.000 gut bezahlte Jobs verloren. Zum Zechensterben gesellte sich die Schließung von Stahlwerken, die weitere tausende Arbeitsplätze kostete. Von der Autoindustrie ist nur noch ein Torso übrig geblieben. In den besten Zeiten arbeiteten bis zu 20.000 Menschen im Bochumer Opel-Werk. Heute sind es gut 3.100 – und die dürften bis 2016 auch verschwinden.
Heute gleicht das Ruhrgebiet vielerorts einem Armenhaus. Die Dauerarbeitslosigkeit und die Kinderarmut sind überdurchschnittlich hoch, die Sozialausgaben ebenso. Gleichzeitig sind zahlreiche Kommunen hoffnungslos überschuldet. Ein Teufelskreis: So konnte sich Oberhausen, die Stadt mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung der Republik, nicht am Programm „Soziale Stadt“ der Bundesregierung beteiligen, weil es den zehnprozentigen Eigenanteil nicht aufbringen konnte.
Es gibt auch positive Ansätze, wie das ehrgeizige ökologische Stadtumbau-Projekt „Innovation City“ in Bottrop. Doch das reicht nicht, damit der Phönix wieder fliegt.
20 Dec 2012
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Am Freitag geht auch in Marl die Ära des Steinkohle-Abbaus zu Ende. Die Region leidet. Und hat noch lange an den Folgen zu knabbern.
Essens BürgerInnen votieren gegen das Kirchturmdenken in Deutschlands größter Metropolregion. Sie stimmen gegen den teuren Ausbau der Messe.
Bochums Opelaner stimmen gegen einen Sanierungsplan. Das Management droht mit der kompletten Schließung des Werks – schon 2014.
Als Folge der Eurokrise fürchtet Verdi-Chef Bsirske auch hierzulande eine schlechtere Entlohnung. Peer Steinbrück warnt er davor, historische Fehler zu wiederholen.
Wenn Betriebsrat und Gewerkschaften weiter „blockieren“, will Opel das Bochumer Werk schon 2014 schließen. Die IG-Metall ist von der „Verhandlungsführung“ erschüttert.
Thüringen liegt bei der Armutsgefährdung im Mittelfeld, doch der Trend ist positiv. Die Regierung findet, das liegt nicht nur an den Westländern in der Umgebung.
Wenn irgendwo besonders viele Menschen vom Steuerzahler leben, hat das vor allem mit der örtlichen Wirtschaft zu tun – egal ob in Berlin oder Stuttgart.
Das Armutsrisiko steigt, warnt der Wohlfahrtsverband. Und die Zustände in Ost- und Westdeutschland gleichen sich an.
400 Wohnungen in der Zinkhüttensiedlung in Duisburg sollen für ein Shoppingcenter abgerissen werden. Die Mieter wehren sich.
Das Opel-Werk in Bochum wird geschlossen. Ein fataler Versuch, sich gesundzuschrumpfen. Besser wäre, die Märkte in Asien nicht länger zu ignorieren.
In deutschen Großstädten lebt ein Fünftel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Im Ruhrgebiet ist es sogar ein Viertel. Der Bundesdurchschnitt ist aber niedriger.