taz.de -- Debatte Arbeitsmarkt: Raus aus der Minijob-Falle
Minijobs sind eine Armutsfalle. Trotzdem sorgt die Regierung dafür, dass es im kommenden Jahr noch mehr Minijobber geben wird.
Sie verdingen sich in Garderoben, in Toiletten oder dem Einzelhandel zu Spitzenzeiten. Rund eine Million Rentnerinnen und Rentner arbeiten inzwischen in den sogenannten Minijobs. Schon ihre Beschäftigungsorte zeigen, dass dies mit Selbstverwirklichung im Beruf wenig zu tun hat, sondern schlicht eine Notwendigkeit ist, um die karge Rente aufzustocken.
Die Rentnerinnen und Rentner sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Insgesamt gibt es inzwischen rund 7,4 Millionen Minijobs, die überwiegende Anzahl der Beschäftigten sind Frauen. Zwei Drittel von ihnen müssen für einen Stundenlohn unter 7 Euro arbeiten, ein Drittel sogar für weniger als 4 Euro. Für 4,7 Millionen Menschen sind Minijobs die Haupteinkommensquelle, während 2,7 Millionen Beschäftigte diese Tätigkeit im Nebenjob oder als Schüler und Studenten ausüben.
Minijobber stellen den Hauptanteil bei den sogenannten Aufstockern, das heißt den Arbeitnehmern, die zusätzlich zu ihrer Arbeit Hartz IV beziehen müssen, um überhaupt leben zu können. Dies bedeutet für die Steuerzahler, eine groß angelegte Subventionierung der Löhne zahlen zu müssen, für die Arbeitgeber ist es dagegen ein probates Mittel zur Personalkostensenkung.
Noch mehr Minijobs
Minijobs sind daher eine Armutsfalle bei Arbeit und im Alter. Trotzdem tut sich in kaum einem arbeitsmarktpolitischen Bereich so wenig wie hier. Im Gegenteil: Die schwarz-gelbe Koalition hat gerade erst gegen die Stimmen der Opposition die Anhebung der Einkommensgrenze auf 450 Euro beschlossen, die zum 1. Januar 2013 in Kraft tritt. Eine weitere Ausdehnung der Minijobs ist daher zu befürchten. Auch bei der SPD sind Minijobs kein großes Thema.
Dabei hatten sich sowohl CDU als auch die Sozialdemokraten auf ihren jüngsten Parteitagen, die nächsten Bundestagswahlen fest im Blick, zur Bekämpfung der Altersarmut verpflichtet. Die SPD rückte in ihrem Rentenkonzept den Zusammenhang zwischen prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen in den Mittelpunkt. Als Gegenmaßnahmen schlägt sie die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen sowie „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ für die etwa 900.000 Leiharbeitnehmer vor.
Rentenkonzepte wie die Zuschuss- oder Lebensleistungsrente Ursula von der Leyens, die Solidarrente der SPD oder die Garantierente der Grünen versprechen eine Aufstockung der Niedrigrenten auf etwa 850 Euro für langjährig beschäftigte Geringverdiener. Allerdings springen sie erheblich zu kurz und daneben, wenn sie sich an der Minijob-Realität vorbeimogeln.
Frauenquote reicht nicht
Ebenso wenig überzeugend ist die gerade vor wichtigen Wahlen wieder laut werdende Empörung bis in die Spitzen der politischen Parteien über die anhaltende Lohndiskriminierung von Frauen. Selbst aus Brüssel erschallt regelmäßig der Ordnungsruf der zuständigen Kommissarin, Viviane Reding, mit der Androhung einer europaweiten Frauenquote für die Top-Etagen der Konzerne. Der Aufschrei der Wirtschaftsverbände folgt auf dem Fuße.
Aber so notwendig eine wirksame Frauenquote auch ist, so unerlässlich bleibt es, für die große Mehrheit der Frauen auf den unteren und mittleren Ebenen des Arbeitsmarktes bessere Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Vor allem muss ihr Abdrängen in die Minijob-Domäne beendet werden. Dies ist keine Brücke, nicht einmal ein gangbarer Steg in die reguläre Beschäftigung mit beruflichen Entwicklungsperspektiven. Im Gegenteil: Gerade erst hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bestätigt, dass Minijobs reguläre Beschäftigung verdrängen.
Für Frauen, die nach der Familienphase wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren, gibt es derzeit aber häufig keine anderen Arbeitsmöglichkeiten als Minijobs. Dies ist bei allen Tätigkeiten mit leicht auswechselbaren Arbeitnehmern der Fall – vor allem im Gaststättenbereich und im Einzelhandel, aber auch in den Gesundheits- und Pflegeberufen, obwohl dort ständig der Personalnotstand ausgerufen wird. Viele Frauen wollen jedoch reguläre Teilzeitarbeit mit höherem Einkommen.
Unabdingbar ist daher, die durch die Hartz-Gesetze aufgerissenen Minijob-Schleusen wieder zu schließen. Zumindest sollten die zuvor geltenden Höchstarbeitsstunden wiedereingeführt und auf 15 in der Woche begrenzt werden. Zusammen mit der Einführung gesetzlicher Mindestlöhne könnte so Lohndumping durch Minijobs verhindert werden. Darüber hinaus sollten die Arbeitszeiten und Verdienste von Haupt- und Minijobs für die Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge zusammengerechnet werden – wie es ebenfalls vorher galt.
Nur ein Zuverdienst
Eine nachhaltige Beseitigung der Minijob-Falle ist jedoch nur möglich, wenn diese Subventionierung von Sozialversicherungsbeiträgen vollständig beendet wird. Nur dann können die Anreize zur Aufstückelung von Vollzeit- und Teilzeitstellen beseitigt werden. Für Arbeitnehmer entfiele die Versuchung, durch Arbeit „brutto für netto“ Sozialversicherung und Steuern zu sparen, was sie mit niedrigen Löhnen und Renten bezahlen müssen. Für die Sozialversicherungen würden die milliardenschweren Ausfälle bei den Einnahmen beendet, die jetzt von den übrigen Beitragszahlern getragen werden müssen und zu schlechteren Leistungen führen.
Als Ursache für die fehlende Eindämmung der Minijobs sollte das immer noch in Teilen der besser verdienenden Gesellschaft vorherrschende Familienkonzept, gemäß dem die Erwerbstätigkeit von Frauen lediglich Zuverdienst ist, nicht unterschätzt werden. Die Frauen können sich dabei der Familientätigkeit voll widmen und dem besser verdienenden Partner für seine berufliche Karriere den Rücken frei halten.
Dieses Schema zieht sich ebenfalls durch die Spitzen von Parteien und Gewerkschaften, sodass auch sie die Eingrenzung der Minijobs mit spitzen Fingern vor sich herschieben. Es ist höchste Zeit, dass die Frauen in den Parteien und Gewerkschaften es endlich durchsetzen, dass die Abschaffung der Minijob-Falle auf der politischen Wahlagenda obenan steht.
1 Jan 2013
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