taz.de -- Wünsche aus Syrien für 2013: „Vielleicht eine Decke“
Seit Monaten herrscht Bürgerkrieg in Syrien, ein Ende ist nicht in Sicht. Was sich die Menschen dort für das kommende Jahr wünschen.
Ich bin mir ganz sicher, dass unser Sieg gleich am Anfang des neuen Jahres kommen wird. Sobald Assad weg ist, müssen sofort die großen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen ins Land kommen, um alle Daten und Zahlen zu erfassen: die der Flüchtlinge, der Verhafteten, der Toten und der Verschwundenen. Das ist das Erste, worum wir uns kümmern müssen. Vorher können wir unser Land nicht neu aufbauen. Das muss als Erstes passieren. Sonst habe ich keinen Wunsch.
Außer vielleicht eine Decke. Es ist jetzt sehr, sehr kalt hier geworden, und wir haben nicht genug Decken. Im Moment verstecke ich mich im Umland von Homs, bleibe aber nie lange an einem Ort. Das ist zu gefährlich. Ich habe auch kaum Zeit zu schlafen, denn ich bin immer mit der Kamera unterwegs, um die Verbrechen des Regimes zu dokumentieren.
Oft mache ich Späße vor der Kamera, die Videos sollen ja lustig sein. So ist das bei uns Homsern, es liegt in unserer Natur, witzig zu sein.
Ich will, dass alle sehen, dass wir trotz allem unsere Lebensfreude nicht verloren haben. Doch die Situation ist hart. Wir haben Hunger, die Internetverbindung ist oft sehr schlecht, meistens reicht es gerade mal, um die Videos hochzuladen.
Ich bin nicht besonders gebildet, ich bin nicht einmal auf eine Sekundarschule gegangen. Vor dem Aufstand habe ich in einem Elektrowarenladen gearbeitet. Wenn ich nach dem Sturz des Regimes die Chance habe, dann würde ich gern Abitur machen, vielleicht sogar studieren und als richtiger Journalist arbeiten. Dann würde ich unsere neue Regierung überwachen, denn es soll nie wieder jemand seine Macht in Syrien missbrauchen können. ABU JAAFAR, 31, ist Bürgerjournalist und [1][Youtube-Performer] in Homs
„Ich will einen säkularen Staat“
Syrien steht eine schwierige Übergangsphase bevor. All die sektiererischen Konflikte, die vom Regime unterdrückt wurden, werden nur mit sehr viel Energie zu lösen sein. Trotzdem ist Versöhnung möglich, allerdings nur, wenn die neue Regierung den einzelnen Gruppen vermitteln kann, dass das Regime ja auf ihre Konflikte gebaut hat – und dass ihr Streiten untereinander zu nichts führen wird.
Ich träume von einem säkularen Syrien, in dem alle Bürger die gleichen Rechte und Pflichten haben. Ich träume von einem pluralistischen demokratischen Staat, denn nur er garantiert die gleichen Rechte für ethnische Minderheiten.
Als syrischer Christ begreife ich mich zwar eigentlich nicht als Minderheit, denn wir stammen aus diesem Land. Also wollen wir gleichberechtigte Partner sein, nichts anderes werden wir akzeptieren. Es ist unser Recht, für unsere Recht im neuen Syrien zu kämpfen. HANADI*, syrischer Christ
„Ich will einen islamischen Staat“
Leider kann ich im Moment nicht viel tun. Ich bin in der Türkei, um mich behandeln zu lassen. Nicht, dass ich im Kampf verletzt worden bin: Ich habe Munition nach Deir Assur gebracht. Das ist nicht leicht, weil Assads Truppen die Stadt umstellt haben. Deshalb müssen wir zu Fuß gehen, mit den schweren Kisten, oft über 20 Kilometer. Dabei habe ich mir dann blöderweise den Rücken verrenkt.
Ich sehne mich danach, dass wir endlich in Frieden leben können. Das geht natürlich erst, wenn wir Assad besiegt haben. Was außerdem passieren muss, ist, dass jeder, der an dem Blutvergießen beteiligt war, vor Gericht gestellt wird. Das gilt für beide Seiten. Aber eigentlich hat ja nur eine Seite Verbrechen begangen: das Regime. Sicher, wir richten Gefangene hin, das ist das Gesetz des Schlachtfeldes. Was sollen wir sonst machen? Sollen wir unseren Feinden vielleicht ein Glas Wein servieren?
Was für ein Land Syrien in Zukunft sein wird, sollen die Syrer entscheiden. Aber warum sollten wir kein islamischer Staat werden? Was wäre daran falsch? Wir sind doch Muslime, die Religion ist für uns wichtig. Ich denke, wenn es uns gelingt, einen islamischen Staat aufzubauen, könnten wir Vorbild für die ganze Welt sein. Denn die Syrer sind kreative Menschen: Wir würden für jedes Problem eine Lösung finden. AMER*, 25, Rebellenkämpfer aus Deir Assur
- Name geändert
31 Dec 2012
LINKS
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
1,5 Milliarden Dollar benötigen UN-Organisationen für Flüchtlings- und Nothilfe in Syrien. Doch niemand zahlt: Bislang sind erst 50 Millionen Dollar zugesagt.
Syrische Rebellen und Regierungstruppen kämpfen um die Luftwaffenbasis Taftanas. Bislang konnten die Angriffe der Aufständischen abgewehrt werden.
80 Prozent der syrischen Flüchtlingskinder gehen nicht zur Schule. Oft fehlt das Geld für Schulbücher oder Platz an der Schule. Manchmal werden sie gemobbt.
Die syrische Regierung erklärte sich bereit für einen Dialog, der türkische Ministerpräsident Erdogan ruft Assad zum Rücktritt auf. Brahimi hat einen neuen Plan.
Im März 2011 begann der Aufstand in Syrien. Heute steht das Land vor der Wahl – zwischen politischem Kompromiss und der Hölle.
Reporter ohne Grenzen kürt Mazen Darwish zum Journalisten des Jahres 2012. Er ist seit Mitte Februar in Syrien in Gewahrsam.
In Moskau laufen Gespräche für eine Lösung des Konflikts in Syrien. Unterdessen hat der Chef der Militärpolizei dem Präsident Assad die Gefolgschaft gekündigt.
Nach dem Treffen mit dem syrischen Präsidenten Assad in Damaskus ist der UN-Gesandte Brahimi besorgt. Russland warnt Syrien vor Chemiewaffeneinsatz.
Der Patriarch der syrisch-katholischen Kirche erklärt, warum ihm Assad lieber ist als ein Sieg der Opposition. Er sieht sein Land auf eine islamische Autokratie zusteuern.
Laut einer Kommission des UN-Menschenrechtsrats nimmt die religiöse und ethnische Gewalt in Syrien zu. Und die Aufständischen gewinnen an Stärke.