taz.de -- Babynahrung in China: Milchpulver lieber aus Deutschland

Wegen diverser Skandale vertrauen Chinesen heimischen Herstellern nicht und decken ihren Bedarf im Ausland. Auch in Deutschland steigt die Nachfrage.
Bild: Wird langsam Mangelware: Milchpulver.

PEKING taz | Wang Yanfei ist innerhalb von einem Jahr schon zwei Mal nach Deutschland geflogen. Beide Male für seine inzwischen 8-monatige Tochter. Auf dem Hinflug hatte er nur Handgepäck, auf dem Rückflug zwei Kisten mit Milchpulver. Inzwischen habe er jemanden in Heidelberg gefunden, der ihm gegen Aufpreis die Kisten schicke, erzählt er. Und nicht nur ihm. Sein gesamtes Kollegium mit kleinen Kindern hat Wang seinem deutschen Bekannten vermittelt.

Vier Jahre ist es her, dass ein Melaminskandal das Land in Aufregung versetzte. Mehrere chinesische Milchpulverhersteller hatten gesundheitsschädigendes Melamin in Milchpulver gepantscht. Fast 300.000 Neugeborene erkrankten, sechs von ihnen starben. Obwohl das chinesische Gesundheitsministerium versicherte, dass 99 Prozent der getesteten Milchpulverprodukte aus heimischer Herstellung bedenkenlos seien, bleiben viele Eltern skeptisch. Sie kaufen nur Milchpulver aus dem Ausland.

Das Misstrauen der Chinesen hat nun dazu geführt, dass im Rest derWelt der Bestand an Milchpulver sinkt – auch in Europa. Säuglingsnahrung sei zwar nicht ausverkauft, versichert Stefan Stohl, Sprecher von Milupa, einem der größten deutschen Milchpulverhersteller. „Es ist aber richtig, das aufgrund der enormen Nachfrage aus Asien und besonders aus China einzelne Produkte zeitweise nur sehr schwer erhältlich sind.“ Er habe Erkenntnisse, dass nicht nur Kleinexporteure in deutschen Supermärkten und Drogerien die Milchpulverprodukte aufkaufen und sie nach China schicken. Auch Großexporteure seien inzwischen am Werk.

Die aufgekauften Dosen werden in China zu horrenden Preisen weiter verkauft. Auf Taobao, dem chinesischen Gegenstück von Ebay, werden umgerechnet bis zu 100 Euro pro Dose Milchpulver aus deutscher Herstellung angeboten. In Deutschland ist eine 800 Gramm Dose Aptamil Pre von Milupa für bereits rund 22 Euro erhältlich.

Ausfuhrverbot in Hongkong

Besonders dramatisch ist der Milchpulvermangel aber in der südchinesischen Metropole Hongkong. In der Sonderverwaltungszone gelten eigene Handelsgesetze als in der Volksrepublik. Und weil auch die Lebensmittelkontrollen als verlässlicher gelten, sind die Regale für Babynahrung seit Monaten wie leer gefegt.

Hongkongs Regierung hat inzwischen ein Ausfuhrverbot von Milchpulver erlassen. Seit dem 1. März darf niemand mehr als zwei Dosen Milchpulver über die Grenze in die Volksrepublik bringen. Obwohl bei Zuwiderhandlungen umgerechnet bis zu 50.000 Euro und zwei Jahre Haft drohen, haben Zollbeamte bereits in der ersten Woche 45 Milchpulverschmuggler aufgegriffen.

11 Mar 2013

AUTOREN

Felix Lee

TAGS

China
Babynahrung
China
Volkskongress
Essen
China

ARTIKEL ZUM THEMA

Chinas Exportwirtschaft: Halbiertes Wachstum

Dem Exportweltmeister China macht Europas Schuldenkrise schwer zu schaffen. Die Binnennachfrage im Land steigt aber.

Machtübergang in China: Xi an der Spitze

Der chinesische Volkskongress hat Xi Jinping zum neuen Präsidenten gewählt. Zum zweiten Mal gelang damit ein Machtübergang in der Volksrepublik ohne Spannungen.

Essay zur Essenskultur: Unser Bauch weiß alles

Die Wucht der Lebensmittelskandale: Wir können das System ändern – als bewusste Verbraucher und als Bürger, die sich gegen die Agrarindustrie einmischen.

Tiersterben in China: Schweinerei im Huangpu-Fluss

Tausende von toten Schweinen schwimmen seit Tagen auf Shanghai zu. Die Behörden rätseln über die Ursachen. Blogger vermuten den nächsten Lebensmittelskandal.

Chinas größter Molkereikonzern: Zu viel Gift in Babynahrung

„Unnormale Mengen“ Quecksilber: In China hat der größte Molkereikonzern Babynahrung vom Markt genommen. Wie das Schwermetall dorthin kommen konnte, ist unklar.

Neuer Milchskandal: China panscht weiter

Gesundheitsminister räumt ein, dass wieder Lebensmittel mit Melamin gefunden wurden. Bereits 2008 waren mindestens 300.000 Kinder an Nierensteinen erkrankt und sechs Babys gestorben.

Nach Skandal in China: Wieder Melamin in Milchpulver

Eineinhalb Jahre nach dem Milchpulver-Skandal ist in China wieder Melamin in Milchwaren nachgewiesen worden. Trotz Rückrufaktion wurde belastetes Milchpulver offenbar weiterhin eingelagert.

Milchskandal in China: Hinrichtungen der Verantwortlichen

China will mit dem Fall des vergifteten Milchpulvers abschließen und lässt einen Molkereibetreiber und den Hersteller des toxischen Kunststoffes hinrichten.