taz.de -- Kommentar Agenda 2010: Die Würde steckt in den Details
Die Konstruktionsfehler der Agenda 2010 wirken bis heute. Zum traurigen zehnjährigen Jubiläum wären daher ein paar Verbesserungen fällig.
Es ist schon ziemlich frech von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, zehn Jahre nach der Vorstellung der Agenda 2010 durch die Regierung Schröder zu behaupten, auch den Hartz-Gesetzen sei es zu verdanken, dass Deutschland jetzt in der EU-Krise wirtschaftlich viel besser dastehe als Italien, Frankreich und Spanien. Solch politische Instrumentalisierung der Hartz-Gesetze ist typisch für deren Historie. Mit den Betroffenen hat sie wenig zu tun.
Dabei waren die Hartz-Gesetze ursprünglich eine Art Sozialimport aus Großbritannien, ein unvollständiger allerdings. Die Konstruktionsfehler wirken bis heute. Mit den Hartz-Gesetzen wurden die Arbeitslosenunterstützung gekürzt und die Leiharbeit erleichtert.
Die Einführung eines Mindestlohns aber unterblieb ebenso wie Instrumente der Differenzierung, wie erwerbsfähig ein Langzeitarbeitsloser ist. Hartz IV ist zu einem Sammelbecken für Langzeitarbeitslose, aufstockende Geringverdiener, Kranke, Alleinerziehende, Kinder armer Eltern geworden.
In anderen Ländern gibt es dafür höchst unterschiedliche Sozialleistungen wie eine negative Einkommensteuer, Invalidenhilfen und anderes. Deutschland hat als eines der reichsten EU-Länder mit Hartz IV die umfassendste soziale Stigmatisierung von Armen zustande gebracht.
Zum traurigen zehnjährigen Jubiläum wären daher zumindest ein paar Verbesserungen fällig. Es muss zum Beispiel für Hartz-Bezieher wieder einmalige Beihilfen geben wie früher in der Sozialhilfe; Leistungsbezieher brauchen eine Übernahme der höheren Wohn- und Stromkosten. Ganz zu schweigen von mehr Jobprogrammen für gesundheitlich Eingeschränkte.
Das sind nur Details, nicht der große Gegenentwurf? Genau die Details machen den Unterschied. Fragen Sie doch mal einen Hartz-IV-Bezieher.
12 Mar 2013
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