taz.de -- Eurokolumne: Der Geldpolitik fehlen die Mitstreiter
Die Doktrin der Europäischen Zentralbank lautet: Es kann nur eine einheitliche Zinspolitik geben. Doch die Mitgliedsländer sind zu unterschiedlich dafür.
Er ist eines der spannendsten Gremien der Europäischen Union: Im EZB-Rat streiten die Präsidenten der nationalen Notenbanken mit dem Direktorium der Europäischen Zentralbank um die eine Geldpolitik, die alle 17 Euro-Länder am besten nach vorne bringt – die südlichen Krisenländer genauso wie die Nordländer.
Nur schade, dass man davon in aller Regel nichts mitbekommt. Denn im Gegensatz zur US-Notenbank Fed verzichtet die EZB darauf, ihre Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen. Umso interessanter ist, was der Rat nach seiner jüngsten Sitzung präsentierte: Zwar beschloss er einstimmig, den Leitzins unverändert bei 0,5 Prozent zu halten. Der oberste Eurohüter Mario Draghi erklärte aber, dass Euroland in einer „tiefen Rezession“ stecke und bekundete, dass die EZB mit allen geldpolitischen Mitteln gegen diese Abwärtsfahrt ankämpfen werde.
Neben einer anhaltenden Niedrigzinspolitik sollen weitere unorthodoxe Instrumente eingesetzt werden. Banken drohen Strafzinsen, wenn sie die durch die EZB erzeugte Schwemme an billigem Geld nicht für die Vergabe von günstigen Krediten an die Wirtschaft, vor allem in den Krisenländern, und den Aufkauf von Staatsanleihen nutzen – sie sollen einen Preis für die risikolose Einlagerung dieser Liquidität in der EZB-Kasse bezahlen.
Wie dieses Ergebnis zustande kam, lässt sich anhand von Indiskretionen rekonstruieren: Aufgebrochen war nämlich der Konflikt, der schon seit 1999 schwelt, seit dem Zeitpunkt, als die Währungsunion Mitgliedsländer zusammenband, die in der wirtschaftlichen Entwicklung völlig unterschiedlich dastanden und stehen.
Die Streitfront überrascht kaum: EZB-Chefvolkswirt Peter Praet hatte für eine weitere Senkung des Zinses auf 0,25 Prozent argumentiert und war dabei von EZB-Chef Mario Draghi unterstützt worden. Auch die Krisenländer befürworteten einen noch niedrigeren Zins. Sieben Ratsmitglieder, vorrangig aus den Nordländern – unter anderem der Bundesbankpräsident Jens Weidmann sowie Klaas Knot von der niederländischen Zentralbank – hielten dagegen.
Die EZB sieht das Dilemma
Bei diesem Streit geht es nicht nur um Eitelkeiten und Rechthabereien. Er zeigt ein tiefgreifendes Dilemma der Währungsunion: Die geldpolitische Doktrin lautet, dass es in einem einheitlichen Währungsraum für alle Mitgliedsländer nur eine einheitliche Zinspolitik geben kann. Was aber, wenn diese wirtschaftlich so unterschiedlich stark sind? Wo die Ökonomie schrumpft, braucht es eine stark expansive Geldpolitik. Gesamtwirtschaftlich und wirtschaftsstrukturell wettbewerbsfähige Länder mit intensiv ausgelasteten Kapazitäten erwarten dagegen auch wegen drohender Inflation eine zumindest vorsichtig restriktive Geldpolitik.
Die EZB sieht dieses Dilemma durchaus. Wenige Tage nach dem Zinsentscheid erklärte Draghi es am Beispiel höherer Zinsen: Diese reduzierten zwar volkswirtschaftliche Risiken wie Inflation, aber sie destabilisierten auch die wirtschaftlich schwächelnde Länder.
Immerhin hat die EZB trotz des erbitterten Widerstands der Deutschen Bundesbank das Prinzip der Unteilbarkeit der Geldpolitik wenigstens mit einem Instrument durchbrochen: Sie stabilisiert mit dem unorthodoxen Ankauf von Staatsanleihen von den Sekundärmärkten aus Krisenstaaten, die sich dem ESM-Rettungsfonds unterwerfen, die dortigen Geldmärkte. Damit hat sie die neue Aufgabe mutig angenommen, den Währungsraum zu stabilisieren und damit Geldpolitik überhaupt erst möglich zu machen.
Extrem restriktive Politik
Wenn man wollte, gäbe es einen Ausweg aus dem Dilemma: Die Finanzpolitik im Euroland muss abgestimmt werden, damit sie in den einzelnen Mitgliedsländern je nach der gesamtwirtschaftlichen Lage die Führung übernehmen kann.
Die Anti-Krisenpolitik in der Eurozone verstößt jedoch fundamental gegen das Prinzip, Geldsteuerung und Finanzpolitik zu koordinieren. Sie unterstützt die Krisenländer nicht mit einer expansiven Finanzpolitik, sondern zwingt sie genau zum Gegenteil: Als „Gegenleistung“ für Finanzhilfen aus dem Rettungsfonds verlangt sie Ausgabenkürzungen, höhere Massensteuern und Privatisierungen. Das ist eine extrem restriktive Politik, die die Ökonomie belastet und den Absturz beschleunigt. Noch schlimmer: Am Ende verliert auch die durch diese Schrumpf-Finanzpolitik total konterkarierte Geldpolitik ihre Handlungsfähigkeit.
Der EZB-Rat darf sich diesem Zusammenhang nicht verschließen. Ein kluger Rat an die EZB-Wächter wäre, die EU-Gremien und die nationalstaatliche Politik aufzufordern, den Teufelskreis zu durchbrechen. Finanzpolitik zusammen mit Wirtschaftsstrukturpolitik weist den Weg aus der derzeitigen Krise. Wenn das gelingt, kann sich die Geldpolitik auch wieder auf ihre eigenen Aufgaben erfolgreich konzentrieren.
12 Jul 2013
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