taz.de -- Die Knigge-Frage: Du hast da was am Bein
Anker, Rose, Totenkopf: Wer sich so tätowiert, dass andere es sehen, den darf man doch auch auf sein Tattoo ansprechen. Oder?
Warum denn nicht, würde man antworten, wenn man der Intuition folgen würde. Würde man nicht wissen - trotz der Sprichwörter und Studien, die das Gegenteil beweisen wollen -, dass der erste Impuls eben doch nicht immer der bleibende ist.
Und was sollen die Klassiker auch groß mehr bedeuteten als das, was zu erahnen ist, der Totenkopf ein Symbol für Vergänglichkeit, die Schwalbe eins für Freiheit, der Anker das für Heimat, das Arschgeweih für … indigene Völker Polynesiens?
Also: Es ist komplexer.
Zwölf Millionen Deutsche, die tätowiert sind, sind zwölf Millionen Individuen, die sich Unterschiedlichstes denken, bevor sie sich Körperbilder- oder wörter in die Haut stechen lassen: Erinnerungen oder Wünsche, Geheimes oder Gemeines, alles oder nichts.
Ist es da höflich, wenn andere einem auf den Nacken / Handrücken / Knöchel starren und affektiertem Blinzeln derartige Ausrufe folgen lassen: "Häää, ich kann das nicht lesen, halt mal still"?
Die Antwort ist "nein" und gilt auch für in diesem Zusammenhang beliebte Fragen wie: "Ist dir ein Farbkasten ausgelaufen oder ist das ein Tattoo?" / "Hast du dich verletzt oder ist das ein Tattoo?" / "Kann das weg oder ist das ein Tattoo?"
Genauso wenig wie der Hardcore-BVB-Fan erklären muss, warum er Jürgen Klopp auf seinem Rücken hat, muss der Germanistikstudent die hebräischen Schriftzeichen auf seinem Arm erklären. Vielleicht ist der Fan in Klopp verliebt und der Student Legastheniker.
Wenn aber das Unwissen bezüglich der Tätowierung eines Menschen, den man nicht gut genug kennt, als dass er bereitwillig über sie Auskunft gäbe, wirklich schlaflos macht: Dann helfen Feingefühl ("Darf ich fragen, was dein Tattoo bedeutet - oder ist das privat?") und Akzeptanz ("A no is a no is a no").
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27 Jul 2013
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