taz.de -- Kommentar Flüchtlinge in Deutschland: Aktion Sorgenbürger
Die Konservativen haben begriffen: Offener Rassismus wird auch von ihren Wählern weniger goutiert. Also rüsten sie ab. Aber nur verbal.
Schön ist das nicht, was in Berlin-Hellersdorf dieser Tage passiert, aber mit Lichtenhagen sei die Situation nun wirklich nicht vergleichbar. Diese Einschätzung nicht weniger Kommentatoren ist faktisch richtig und trotzdem verdammt ärgerlich.
Sicher, heute weisen auch die Konservativen die Polizei an, Asylbewerberheime gegen wild gewordene Anwohner und NPD-Aktivisten zu schützen. Und sie sagen auch nicht mehr, wie noch CDU-Spitzenpolitiker Jürgen Rüttgers im Wahlkampf 2000, „Kinder statt Inder“. Sie sagen: „Man muss die Sorgen der Anwohner ernstnehmen.“ So Wolfgang Bosbach angesichts der Proteste gegen das Asylberwerberheim im Berliner Randbezirk. Verbal wurde also in den letzten dreizehn Jahren abgerüstet. Und sonst?
Haben die Entscheidungsträger Konsequenzen gezogen aus dem Umstand, dass die „Sorgen“ der Anwohner und der NPD den Flüchtlingen das Leben einmal mehr zur Hölle machen? Quartieren sie sie in Wohnungen ein und zwar dort, wo sie vergleichsweise sicher sind, also in Innenstadtbezirken? Nein, das tun sie nicht. Das würde ja Geld kosten. Die Mieten sind dort hoch.
Was für eine Bigotterie, sich in einem der reichsten Länder der Welt erleichtert darüber zu zeigen, dass Polizei und Konservative sich ohne Rechtsbruch oder Diffamierungen mit dem Alltagsrassismus arrangieren. Also auf keinen Fall nach einer menschenwürdigen Unterbringung für die lächerlich wenigen Flüchtlinge in Deutschland suchen, die Residenzpflicht aufheben und Arbeitsgenehmigungen erteilen. Das nämlich würde sie sofort Wähler kosten.
Und so lange man nicht wieder – wie in Lichtenhagen – die Weltöffentlichkeit erregt, hält man den Preis für den sich selbst attestierten Humanismus lieber so gering wie möglich. Ein liberaleres Auftreten hilft dabei. Das haben die Konservativen inzwischen dazugelernt.
21 Aug 2013
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