taz.de -- Checkpoints in Damaskus: Den Finger am Abzug

In den vom Assad-Regime kontrollierten Teilen der syrischen Hauptstadt Damaskus fürchten viele Menschen einen Angriff der USA.
Bild: „Verteidigen bis zum letzten Mann“: Ein syrischer Soldat trägt das Konferfei Assads als Herzchen auf der Brust

DAMASKUS taz | In der syrischen Hauptstadt ist die Stimmung angespannt. Angesichts der drohenden Luftschläge haben viele Menschen in den von der Regierung kontrollierten Stadtteilen damit begonnen, Lebensmittel zu hamstern. Die Menschen sind nervös: Im Fünfminutentakt sind schwere Explosionen an den Stadträndern zu hören.

Die Zahl der Straßenkontrollen hat sich stark vermehrt. Selbst in den kleinsten Nebenstraßen und an unerwarteter Stelle sind Barrieren aufgestellt. Schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren in den Straßen mit dem Finger am Abzug ihres Sturmgewehrs.

Ein Soldat, der einen Checkpoint in der Altstadt bewacht, sagt: „Unsere Armee verteidigt Syrien gegen jeden Gegner bis zu ihrem letzten Mann.“ Er zeigt dabei stolz auf die Konterfeis von Vater und Sohn al-Assad, die in Brusthöhe auf seiner Uniform aufgestickt sind, und fügt hinzu: „Ich bin bereit, für Präsident Baschar zu sterben.“

An seinem Gürtel trägt der Soldat, wie inzwischen alle Angehörigen der Streitkräfte im Zentrum, eine Tasche, in der sich eine Gasmaske und Handschuhe befinden. „Wir sind vorbereitet auf alles“, sagt er.

Die Mehrheit ist dagegen

Die Meinungen zu dem drohenden Militärschlag der US-Amerikaner und Franzosen gehen in den von der Regierung kontrollierten Stadtteilen weit auseinander. „Die große Mehrheit ist wie ich dagegen“, erklärt Susanne Hinnaui.

Die Sunnitin, die als erfolgreiche Unternehmerin in der Pharmaindustrie tätig ist, hat sich bisher weder für noch gegen das Regime positioniert. Das wäre schlecht fürs Geschäft, ist sie sich gewiss. „Ein Bombardement Syriens wird nicht nur Militäranlagen, sondern auch große Teile der Infrastruktur zerstören, wie zuletzt in Irak und Libyen geschehen, und auch die Wirtschaft Syriens weit zurückwerfen“, begründet Hinnaui ihre Einstellung.

Immer deutlicher äußern hingegen weite Teile der verarmten Bevölkerung ihren Unmut über das Regime. Hussein Maxos, ein Arabischlehrer aus Afif in Ostmuhadschirin, einem der besseren Viertel von Damaskus, verdiente bis vor drei Jahren sehr gut, indem er Botschaftsmitarbeitern Arabisch lehrte. Seit der Schließung der westlichen Botschaften ist er arbeits- und inzwischen völlig mittellos.

Nur Wenige profitieren

Maxos, der selbst viele Jahre in der regierenden Baath-Partei aktiv war, ist zutiefst enttäuscht von dem Regime, „das schon lange nicht mehr seinen eigenen Idealen gerecht wird“, wie er sagt. „Die Errungenschaften und Vorteile, mit denen sich das Regime die Bevölkerung einst gefügig machte, kommen bei den Menschen nicht mehr an“, sagt Maxos. Inzwischen profitiere nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung vom Regime.

Dennoch lehnt der ehemalige Unterstützer des Regimes jeglichen Eingriff von außen ab. „Früher benutzte die französische Kolonialmacht die Christen, Drusen und Alewiten, um mit ihrer Hilfe die Kontrolle über das gesamte Territorium zu erlangen. Heute benutzt die westliche Intervention die Islamisten als ihre Agenten, um ihren Einfluss in Syrien zu stärken“, sagt er.

Nur weil die islamistischen Kämpfer derzeit schwächelten, erwögen die USA ein Bombardement Syriens, so lautet ein breiter Konsens in den von Assad kontrollierten Teilen der syrischen Hauptstadt.

10 Sep 2013

AUTOREN

Lejeune

TAGS

Schwerpunkt Syrien
Militär
Damaskus
Baschar al-Assad
Giftgas
Libyen
UN-Menschenrechtsrat
Nationale Koalition
Flüchtlinge
USA
Bundestag
UN-Inspekteure
Russland
USA
Flüchtlinge

ARTIKEL ZUM THEMA

Transitraum Libyen: Die bessere Seite der Sahara

Tausende fliehen jede Woche von Niger nach Libyen. Sie wissen, die Wüste ist gefährlich. Doch das Chaos in Libyen ist ihre Chance.

Bürgerkrieg in Syrien: Verbrechen auf beiden Seiten

UN-Experten erheben schwere Vorwürfe gegen beide Kriegsparteien in Syrien. Sowohl das Assad-Regime als auch die Rebellen hätten schreckliche Massaker verübt.

US-Angriff auf Syrien verschoben: Rebellen bestehen auf Strafaktion

Die oppositionelle Nationale Koalition fürchtet, dass das Regime Assad Zeit schinden und mehr Menschen töten will. Die Koalition fordert eine Bestrafung.

Syrische Flüchtlinge in Deutschland: Wettbewerb der Barmherzigkeit

Schöne Bilder von Politikern mit Kindern nicht ausgeschlossen: Die ersten syrischen Flüchtlinge landen in Hannover.

Pro und Contra Syrien: In der Syrien-Falle

Assads Außenminister stimmt Russlands Vorschlag zur internationalen Kontrolle der Chemiewaffen zu. Ist diese Entwicklung gut oder schlecht?

Kommentar Deutsche Syrienpolitik: Nichtstun? Oder lieber nichts tun?

Die nicht stattfindende Chemiewaffendiskussion im Bundestagswahlkampf zeigt, wie zynisch die deutsche Politik Verantwortung ausblendet.

UN-Inspektoren bestätigen Sarin-Einsatz: Schuldfrage bleibt ungeklärt

Der UN-Bericht wird den Einsatz von Sarin oder verwandter Substanz bestätigen, aber keine Angaben über die Verursacher des Verbrechens machen.

Deutschland und die Syrien-Frage: Schutzmacht Merkel

Die Regierung versucht, europäische Uneinigkeit bei Syrien als Einigkeit zu verkaufen. Dei Opposition nennt Merkels G20-Auftritt einen „Totalausfall“.

Kommentar US-Äußerungen zu Syrien: Stümperhaftes Dahergerede

Russland nimmt John Kerrys Vorschlag, Syrien solle seine Chemiewaffen abgeben, ernst. Es wäre ein Treppenwitz, wenn daraus noch eine Chance würde.

Binnenflüchtlinge in Syrien: Die ausgebuchten Elendshotels

Mehr als vier Millionen Syrer sind zu Flüchtlingen im eigenen Land geworden. In der Hauptstadt wohnen sie in überfüllten Hotelräumen oder auf der Straße.

Umstrittener Giftgaseinsatz in Syrien: Hätte, wäre, könnte

US-Außenminister Kerry entwirft ein Szenario, wie Assad einen Militärschlag der USA verhindern könnte. Syrien unterhält sich aber lieber mit Russland.