taz.de -- Kommentar Indien: Reformen statt Todesstrafe

Indien muss seinen Justiz- und Sicherheitsapparat tiefgreifend reformieren. Nur so kann die wuchernde Gewalt gegen Frauen eingedämmt werden.
Bild: Proteste gegen Vergewaltigung in Indien.

Am Dienstag hat ein Gericht in Delhi vier der Männer für schuldig befunden, die im vergangenen Dezember eine junge Frau in einem fahrenden Bus vergewaltigt und so schwer verletzt haben, dass sie rund zwei Wochen später gestorben ist.

Das Verbrechen hat weltweit für Aufsehen gesorgt und in Indien eine Protestwelle ausgelöst. Am Freitag soll das Strafmaß verkündet werden, rund acht Monate nach der Tat. Den Tätern droht die Todesstrafe.

Dass es in diesem Fall vergleichsweise schnell gegangen ist, liegt daran, dass die Behörden auf die öffentliche Empörung reagiert und die Täter vor ein eigens eingerichtetes Schnellgericht gestellt haben. Gewöhnliche Strafverfahren ziehen sich fast immer jahrelang hin.

Manchmal dauert es Jahrzehnte, bis ein Urteil gesprochen wird. Dann werden drei von vier mutmaßlichen Vergewaltigern freigesprochen. Eine abschreckende Wirkung hat das nicht.

Ungebrochenes Patriarchat

Die vielen Formen von Gewalt, denen Frauen in Indien ausgesetzt sind, haben tiefe gesellschaftliche Wurzeln. Vor allem in den ländlichen Regionen Nordindiens herrscht noch immer ein ungebrochenes Patriarchat. In manchen Regionen gibt es wegen gezielter Abtreibungen weiblicher Föten und der vielen Todesfälle, zu denen es nach Gewaltakten oder Vernachlässigungen von Frauen und Mädchen kommt, bereits heute ein Fünftel weniger Frauen als Männer.

Der nicht endenden Gewalt gegen Frauen steht jedoch kaum etwas entgegen: Indiens Staat ist dem Problem nicht gewachsen. Etwa 30 Millionen Verfahren stauen sich an Indiens Gerichten, an denen zudem tausende Richterposten vakant sind. Indiens Polizisten sind schlecht ausgebildet und oft korrupt.

Das Foltern von Verdächtigen – wie sie auch die Anwälte der Vergewaltiger von Delhi nahelegen – ist an der Tagesordnung. Oft weigern sich die Beamten, Anzeigen wegen Vergewaltigungen aufzunehmen, vor allem, wenn das Opfer einer niedrigen gesellschaftlichen Gruppe angehört.

So lange Indien nicht seinen Justiz- und Sicherheitsapparat massiv reformiert, wird die endlose Gewalt gegen Frauen weiter gehen. Daran wird auch ein Todesurteil gegen die Vergewaltiger von Delhi nichts änden.

12 Sep 2013

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Sascha Zastiral

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