taz.de -- Deutsche Literatur der Gegenwart: Improvisationen über Liebe und Tod
Wir sehen Symbole, wo Willkür und kosmischer Zufall herrschen: „Die Ordnung der Sterne über Como“, der Debütroman von Monika Zeiner.
Verschlungen sind die Wege des Lebens und der Liebe, windungsreich und voller Gabelungen. Hat man schließlich holprig eine gewisse Strecke hinter sich gebracht, mag man sich zum Trost einbilden, dass vielleicht doch ein höheres Schicksal den inneren Kompass nordet und ein undurchschaubarer Ordnungswille das Chaos im Zaum hält. Ein Blick in die Sterne, die millionenfach verstreut am Himmelsdach kleben, entlarvt unsere Sehnsucht nach Halt und Struktur.
Wir sehen Symbole und Bilder, wo Willkür und kosmischer Zufall herrschen. Zumal wenn die Liebe sich ins Menschenherz einnistet, wünscht man sich ein wenig Vorsehung. Und wird doch fortgerissen in einem Strudel aus unerklärlichen und unzähmbaren Gefühlen.
Monika Zeiner erzählt in ihrem Debüt „Die Ordnung der Sterne über Como“ von solchen emotionalen Turbulenzen und von einem Wendepunkt im Leben, vom Davor und Danach. Und sie erzählt auf originelle, bilderreiche und unterhaltsame Weise von den wirklich relevanten Themen der Literatur: „Liebe und Tod sind da, das ist alles, was man dazu sagen kann“, zitiert sie Roland Barthes.
Der Satz ist als Motto einem Roman vorangestellt, der eine Überraschung ist. Bereits im Frühjahr erschienen und von der Kritik eher übersehen, bis die Jury des Deutschen Buchpreises sich seiner annahm. Das ist nicht nur ein Glück für die Autorin, sondern auch für die Leser, die ihn nun doch entdecken, die Tom, Betty und Marc durch ihre Lehr- und Wanderjahre folgen können.
Tom und Marc sind engste Freunde, Vertraute und Weggefährten; sie studieren Musik in Berlin, erträumen sich eine spielerische Zukunft, kompromisslos und unkorrumpiert vom Kommerz. Ein in Maßen bohemistisches Leben. Tom verdient sich sein Geld als Klavierlehrer. Mit einer seiner Schülerinnen, der Gattin eines erfolgreichen Geschäftsmannes, unterhält er ein Verhältnis, das er sich romantisch zurechtreimt. Ein anderer Eleve, der verschrobene Professor Breitenbach, referiert gerne zwischen zwei Etüden seine Erkenntnisse zur Liebesmelancholie. Die Theorie wird bald Praxis: Betty, eine Gesangsstudentin, die nebenbei noch den Eltern zuliebe Medizinvorlesungen hört, macht das Trio komplett und die Liebeskrankheit akut. Es entspinnt sich eine nicht unproblematische Ménage à trois, langsam von Zeiner eingefädelt.
Alles scheint offen
Betty zieht in die WG ein, und sie tut sich mit Marc zum Paar zusammen. Es sind die neunziger Jahre, und für die Mittzwanziger, die noch arglos durchs Berlin der Nachwendezeit gleiten, scheint alles offen. Die Musik ist jene Sphäre, in der sich Zweifel auflösen lassen. Zwischen Neuer Musik und Jazz bewegen sich die drei Talente, sie spielen zusammen, haben Auftritte, und Monika Zeiner, die selbst in der [1][Italo-Swing-Band Marinafon] singt, hat einen feinen Sinn für die nuancenreiche Beschreibung musikalischer Epiphanien.
Der Rhythmus des ganzen Buches, das auch ein Künstlerroman ist, folgt musikalischen Mustern: Themen werden variiert, Motive in Seitensträngen fortgeführt, erweitert, verlassen, später erneut aufgegriffen, über der Grundmelodie von Liebe und Tod, Verbundenheit und Verrat wird immer wieder improvisiert.
Unvermeidlich ist, was schließlich passiert: Tom verliebt sich in Betty. Am Ufer des Comer Sees, ins Nachtblau und die Sterne blickend, kommen sich die beiden äußerst nah. Am nächsten Tag wird nichts mehr so sein, wie es war, und was fortan sein wird, hat seine Ursache in diesem magischen Augenblick - auch der Tod von Marc.
Alles verändert sich
Alles verändert sich. Betty wendet sich von der Musik ab und ganz der Medizin zu, sie zieht nach Neapel und heiratet. Tom taumelt wie ein Verlorener durch sein Leben, sich Leidenschaften und Illusionen versagend. Auch er heiratet, und die Ehe scheitert. Viele Jahre später erst kommt es bei einer Tournee durch Italien - das ist die Gegenwartsebene des Romans - [2][zum Wiedersehen der beiden und zu einer Begegnung mit der Vergangenheit.]
Professor Breitenbach schlüsselt einmal das Paradox der romantischen Liebe auf und zeichnet zugleich, ohne es zu ahnen, ein Porträt des schwermütigen Tom: „Der Liebende kann das Geliebte nicht besitzen, und er substituiert es als Gedankenbild in seiner Phantasie. Sowohl der Trauernde als auch der Melancholiker als auch der Liebende, sehen Sie, richten sich dauerhaft, lassen Sie es mich so formulieren, in der guten Stube der Erinnerung ein. Und diese gute Stube der Erinnerung bewahrt uns vor der Welt!“
Diese Gedanken könnten aus Monika Zeiners Doktorarbeit über die Liebesmelancholie im Mittelalter stammen. Sie liefern die Folie des Buches. Wie die Autorin aber ihre wissenschaftlichen Reflexionen sinnlich, variationsreich, zuweilen auch heiter in eine Erzählung verwandelt und in die Gegenwart übersetzt hat, ist beachtlich. Wie sie ihren schwer an seinen Fantasien tragenden Tom als verzweifelten, fast resignierten und doch träumenden Helden durch die 600 Seiten ihres Romans geleitet, ist [3][von großer Empathie und erzählerischem Gespür]. Nach diesem vielversprechenden Debüt darf man sich auf weitere Werke der Autorin freuen.
9 Oct 2013
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