taz.de -- Kritik an Deutschlands Exportboom: Der Überschuss-Sünder
Rückt Exportweltmeister Deutschland auf die Anklagebank der EU-Kommission? Brüssel zögert – dabei genießt Berlin bereits eine dicke Extrawurst.
BRÜSSEL taz | Normalerweise schauen alle nur auf die „Defizitsünder“. Doch wenn die EU-Kommission heute in Brüssel ihre Herbstprognose für die Wirtschaft der Eurozone abgibt, dürften sich die Blicke vor allem auf Deutschland richten. Die größte Volkswirtschaft Europas gilt nämlich neuerdings als „Überschusssünder“. Die EU-Behörde könnte die deutschen Exporterfolge angreifen.
Die deutschen Ausfuhren liegen seit Jahren weit höher als die Einfuhren, was den Krisenländern Südeuropas das Leben schwer macht. Sie sollen Autos, Maschinen und Waffen „made in Germany“ kaufen, können aber umgekehrt wenig auf dem deutschen Markt absetzen – was die Defizite erhöht. Außerdem liegt der deutsche Leistungsbilanzüberschuss – also der Saldo aus Handel, Dienstleistungen und Vermögenstransfers – vermutlich höher, als die EU erlaubt.
Auf 7 Prozent der Wirtschaftsleistung schätzt ihn das US-Finanzministerium, nachdem Deutschland 2012 sogar noch mehr exportiert hatte als China. Der EU-Grenzwert liegt indes nur bei 6 Prozent. Und selbst diese Latte ist sehr hoch, vergleicht man sie mit dem Grenzwert von 3 Prozent für die Defizitländer. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte dafür gesorgt, dass die EU bei den Leistungsbilanzen mit zweierlei Maß misst.
Jahrelang hatte diese Extrawurst Deutschland vor EU-Kritik bewahrt – der Überschuss lag immer knapp unter 6 Prozent. Doch damit muss nun Schluss sein, fordert ein Chor internationaler Experten. Vergangene Woche schlug das US-Finanzministerium zu: Deutschland gefährde mit seinen Überschüssen die Stabilität der Eurozone. Dann legte der IWF nach.
Schäuble bleibt hart
Nach einem Bericht des Spiegel schlug der Vizechef des Währungsfonds, David Lipton, bei seinem Besuch im Finanzministerium in der vergangenen Woche vor, Deutschland solle sich verpflichten, seine Überschüsse zu reduzieren. Die Bundesregierung solle eine konkrete Zahl nennen, die künftig nicht mehr überschritten werden dürfe. Doch Schäuble blieb hart. „Wir können das beim besten Willen nicht nachvollziehen“, ließ er seinen Sprecher erklären. Die Regierung stellt sich taub.
Ändern dürfte sich das erst, wenn auch die EU-Kommission den Druck auf Deutschland erhöht – und ein Prüfverfahren einleitet. Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold fordert dies seit Monaten. „Ein Auge zuzudrücken ist in dieser Situation keine Lösung.“ Über Jahre habe sich Deutschland mit starker Lohnzurückhaltung einen Exportvorteil gegenüber anderen Eurostaaten gesichert. Die EU-Kommission müsse nun handeln und ein Verfahren einleiten. Das sei „längst überfällig“.
Doch die Behörde duckt sich weg. Offenbar hat sie Angst vor der übermächtigen Kanzlerin, die seit Monaten jede Kritik an Deutschland erstickt. Eine Kommissionssprecherin räumte zwar ein, dass Deutschland die Leistungsbilanz-Latte reißen könne. Das bedeute aber nicht, dass automatisch ein „blauer Brief“ aus Brüssel folge.
4 Nov 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Kanzlerin Merkel scheitert mit ihrem Plan, den anderen EU-Ländern Strukturreformen aufzudrücken. Ohne einen finanziellen Anreiz will niemand mitmachen.
Seit Jahren exportiert Deutschland seine Nachbarn kaputt. Die EU-Kommission will sich das jetzt genauer anschauen, Sanktionen wird es aber wohl keine geben.
In der chinesischen Wirtschaft herrschen Korruption und Überkapazitäten. Gleichzeitig leidet die Umwelt. Ein Plenum berät nun über Reformen.
Beim EU-Gipfel macht die Bundeskanzlerin klar, dass sie nach dem Sparkurs nun Reformen diktieren will. Die Bürger werden nicht beteiligt.
1,3 Billionen Euro fehlen europäischen Banken derzeit, um krisenfest zu sein. Nun streiten alle, wie denn marode Geldhäuser abgewickelt werden sollen.
Was genau im neuen Abkommen zwischen der EU und Kanada steht, müssen Experten erst klären. Wo es hakt, bleibt so lange ungenannt.