taz.de -- Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Reisewarnung vor ortsferner Hysterie

Eine offizielle Reisewarnung kann für ein Land den Ruin bedeuten. Auffällig ist, dass mit der Entfernung auch die Angst vor einem Anschlag wächst.
Bild: Leerer Strand im tunesischen Sousse

Adel hat Tränen in den Augen. „Stell dir vor, von fast 1.000 Gästen des Ferienhotels in Sousse, wo gerade ein Selbstmordanschlag verhindert wurde, haben nur 20 das Angebot, nach Hause zurückzufliegen, wahrgenommen. Die anderen bleiben ganz bewusst!“ Für ihn, den selbstständigen tunesischen Reiseleiter, ist das ein Akt gelebter Solidarität. Terror schadet dem Tourismus, aber vor allem den Leuten, die davon leben. In Tunesien und weltweit.

Wenn das Auswärtige Amt für ein ganzes Land Sicherheitshinweise oder gar eine Reisewarnung herausgibt, ist das für die juristische Beurteilung beim Reiserücktritt zwar ein wichtiges Indiz, aber nicht rechtlich bindend.

In der Regel stornieren die Veranstalter Reisen bei einer Reisewarnung von sich aus. Kommt es zur rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Urlauber und Veranstalter um den Reiserücktritt aus Sicherheitsgründen, prüft ein Jurist im Einzelfall, ob in der Urlaubsregion tatsächlich ein Fall höherer Gewalt gegeben ist.

Die Frage, ob ein Fall „höherer Gewalt“ vorliegt, muss anhand der Kriterien des Paragrafen 651f BGB im Lichte seriöser Medienberichte bestimmt werden. Es kann also sein, dass „Unruhen in Ägypten“ nicht notwendigerweise einen Fall höherer Gewalt in Scharm al-Scheich bedeuten.

Die Angst der Urlauber wächst mit der Entfernung vom Ort, der Unkenntnis, dem Fremdheitsgrad, der Ignoranz. Sie kann medial geschürt oder abgebaut werden. Am realen Ort, unter realen Menschen fällt sie oft in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Hysterie jedenfalls ist eine schlechte Antwort auf die Gefahr terroristischer Anschläge. Denn „die Gefahr, Opfer eines Anschlags zu werden, im Vergleich zu anderen Risiken, die Reisen ins Ausland mit sich bringen, wie Unfällen, Erkrankungen oder gewöhnlicher Kriminalität, sind vergleichsweise gering“, heißt es beim Auswärtigen Amt.

Das haben sich die 980 Urlauber, die in Sousse schon einmal im Visier des Attentäters standen, wohl auch gedacht. Und blieben. So hat der Attentäter sein Ziel zweimal verfehlt.

17 Nov 2013

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Edith Kresta

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