taz.de -- Kolumne Liebeserklärung: Die böse Gentrifizierung
Die Stadtaufwerter der ersten Stunde bejammern den urbanen Ausverkauf. Das ist ganz schön geschichtsvergessen.
Liebe Gentrifizierung, du wirst mal wieder angeklagt – von denen, die dich geschaffen haben. Matthias Merkle etwa, Gründer der Berliner Gentrifizierungskneipe „Freies Neukölln“, jammert: „Das ist nicht mehr mein Berlin.“ Sein Mietvertrag wird nicht verlängert. Irgendwelche bösen Immobilienhaie in London (Ausland!) sind schuld.
Aber eigentlich sind alle die schuld, die das nachgemacht haben, was er, angeblich, begann: einem jungen Publikum in Neukölln Orte zum Hipsein schaffen. Jetzt wundert er sich, dass das funktionierte; und dass dies dann auch andere Investoren, mit mehr Geld, anlockte. Tja.
Du siehst, liebe Gentrifizierung, du sorgst für Realitätsverlust. Du bist so praktisch: Dir kann man das eigene Tun ankreiden, sobald einem die Konsequenzen dieses Tuns nicht mehr behagen. Dabei vergessen Leute wie Merkle und all die, die sich zwar Bioläden und Yogastudios, aber keine teureren Mieten wünschen, dass dies schlicht und ergreifend Stadtgeschichte ist.
Was wohl der ehemalige Besitzer der Fabriketage, in der Merkle während seiner ersten Jahre in Neukölln so billig leben konnte, sagt? Ob er wohl gejammert hat, dass da sein Leben ausverkauft wird? Dir, liebe Gentrifizierung, ist das völlig egal. Jammern ist nicht dein Ding.
Du willst mehr, willst größer sein und schneller. Du hältst es aus, dass man dich bespuckt, du forderst das sogar heraus – und treibst so manchen in die Verzweiflung. Und doch hast du vielleicht auch die Hoffnung, der eine oder die andere werde irgendwann merken, dass Veränderung immer eine Herausforderung ist: eine, der man sich nur stellen muss.
15 Nov 2013
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