taz.de -- Soziologin über Pisa-Studie: „Mädchen werden mehr gelobt“

Die Lehrerausbildung muss sich auch mit Genderfragen beschäftigen, fordert Ulrike Struwe. Außerdem muss der Matheunterricht praxisnäher werden.
Bild: Rechnen ist nur was für Jungen? Stimmt nicht, sagt die Soziologin.

taz: Frau Struwe, Pisa zeigt, dass Mädchen in Mathe im Durchschnitt schlechter abschneiden als Jungen. Stimmt es also doch: Mathe ist einfach nichts für Mädchen?

Ulrike Struwe: Doch, Mathe ist etwas für Mädchen! Der Frauenanteil in den Studiengängen Mathematik und Chemie steigt seit Jahren und liegt mittlerweile bei 50 Prozent.

Selbst bei gleichen Leistungen in Mathe und Naturwissenschaften ist das Selbstvertrauen der Mädchen geringer. Warum?

Wir wissen seit einiger Zeit, dass Mädchen mit ähnlichem Selbstvertrauen in die Schule hineingehen wie Jungen, aber ihr Selbstvertrauen im Laufe ihrer Schulzeit eher nachlässt.

Werden Mädchen entmutigt?

In Deutschland ist die mathematisch-technische Ausbildung sehr männlich konnotiert. Männer und Technik gehören für viele zusammen. Dieses Bild zu durchbrechen ist nicht ganz einfach.

Welchen Anteil haben Lehrkräfte daran?

Studien zeigen, dass Mädchen für geringere Leistungen in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern überschwänglich gelobt werden, Jungen dagegen viel höhere Leistungen bringen müssen, um Anerkennung zu bekommen. Das nennt man paradoxes Lob. Es schadet Mädchen eher, denn sie entwickeln dadurch kein Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Was muss sich in der Lehrerausbildung ändern?

Wir brauchen Genderdidaktik in der Lehrerausbildung, und zwar als verpflichtendes Fach. Lehrer müssen stärker dafür sensibilisiert werden, wie sie mit Jungen und Mädchen umgehen. Es muss ihnen auch deutlich werden, was ein unterschiedlicher Umgang bewirkt. Außerdem brauchen wir einen stärkeren Praxisbezug.

Hilft das Mädchen in Mathe?

Generell fehlt in Mathematik häufig ein Anwendungsbezug. Besonders Mädchen ist unklar, was sie mit Mathe später machen können. Junge Männer haben ein großes Reservoir an Vorbildern im Bekanntenkreis, die beruflich mit Mathe und Technik zu tun haben. Wir nehmen an, dass der praxisnähere Unterricht in den östlichen Bundesländern auch ein Grund dafür ist, dass Mädchen im Ländervergleich besser abgeschnitten haben.

3 Dec 2013

AUTOREN

Anna Lehmann

TAGS

Pisa-Studie
Bildung
Mathematik
Lehrerausbildung
Pisa-Studie
Pisa-Studie
Bildung
Pisa
Kommunikation
Pisa

ARTIKEL ZUM THEMA

Schweden stürzt im Pisa-Vergleich ab: Fahrerlaubnis als Lockmittel

In Schweden werden die Unterschiede zwischen guten und schlechten Schülern größer. Mitverantwortlich dafür könnte die freie Schulwahl sein.

Kommentar zur Pisa-Studie: Danke, Drei, weitermachen

Hurra, hurra, die Pisa-Studie ist da! Und Deutschland sieht gar nicht so schlecht aus. Die Mädchen-Problematik im Fach Mathematik aber bleibt.

Naturwissenschaftliches Lernen: Das schiefe Bild von Pisa

Am Dienstag wird die neue Pisa-Studie veröffentlicht. Doch viele Schulen gehen längst neue Wege. Der Vergleichstest gerät dabei oft zur Nebensache.

Mathedidaktiker über Pisa: „Schluss mit dem Geteste“

In einer Woche werden die Ergebnisse der fünften Pisa-Studie vorgestellt. Der Mathematikdidaktiker Wolfram Meyerhöfer hält die Tests für willkürlich und schädlich.

Pädagogin zu Lehrer-Schüler-Verhältnis: „Viele Kinder werden mutlos“

Bemerkungen von Lehrern können Schüler nachhaltig verletzen. Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel über Feingefühl, Macht und verbale Gewalt.

Kommentar Pisa-Studie für Erwachsene: Vom Schock zum Schulterzucken

Wer in der Schule scheitert, kann das Versäumte später kaum nachholen. In Deutschland herrscht Gleichgültigkeit statt Gleichheit, dafür sorgt schon die Union.